Die richtige Personalauswahl und Personalentwicklung in Osteuropa
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Die richtige Personalauswahl und Personalentwicklung in Osteuropa

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Firmen, die in Osteuropa eine Niederlassung oder Filiale gründen, müssen vor Ort qualifizierte Mitarbeiter und Führungskräfte finden. Ein Instrument hierfür sind Assessment-Center und Management-Audits. Sie müssen den kulturellen Bedingungen und den Marktbedingungen vor Ort angepasst werden.

Bei der Erwerbsbevölkerung in Osteuropa und in der Russischen Föderation lassen sich drei Generationen unterscheiden:

  • die ältere Generation, geboren vor 1965,
  • die „Perestroika-Generation“, geboren zwischen 1965 und 1975, und
  • die junge Generation, geboren nach 1975.

Hinzu kommt die Gruppe der Menschen unterschiedlichen Alters, die in der Vergangenheit ihre Heimatländer verließen und nun mit Expatriate-Status zurückkehren.

Die vier Gruppen unterscheiden sich in puncto Ausbildung, Qualifikation, Werte und Soft-Skills. Verallgemeinert formuliert gilt in Osteuropa:

  • Die ältere Generation ist an Status, einem sicheren Arbeitsplatz sowie einem sozialen und politischen Engagement interessiert.
  • Die „Perestroika-Generation“ entscheidet sich für Einkommen, Familie, Status und Stabilität.
  • Die jüngere Generation legt Wert auf finanzielle Anreize, Weiterbildung, Karrieremöglichkeiten, Flexibilität, Chancen, ins Ausland zu gehen, und Status. Und:
  • Die Expatriate-Gruppe zeigt großes Interesse an Verantwortung, Status, Aufstiegschancen, Stabilität und an Anerkennung der individuellen Leistung.

Welche Instrumente sich für die Personalauswahl eignen

Auf den ersten Blick haben die für eine Auslandsinvestition infrage kommenden Länder einen unproblematischen Arbeitsmarkt. Doch die Realität sieht anders aus:

  • Weil die Unternehmen sich auf einige große Städte und deren Umfeld beschränken, gibt es einen Mangel an qualifiziertem Büro- und Verkaufspersonal, zum Beispiel in Prag und Warschau.
  • Aufgrund der Cluster-Bildung in der Produktion fehlt an anderen Standorten in Osteuropa qualifiziertes und unqualifiziertes Personal. So liegt zum Beispiel die offizielle Arbeitslosenrate in den Regionen, in denen die Automobilindustrie und ihre Zulieferer (wie Magna und Lear) beheimatet sind, bei unter 0,3 Prozent.
  • Es gibt keine nennenswerte „Kultur” der Migration zu den Orten, wo die Arbeit ist. Zudem ist die Tradition, am Geburtsort zu bleiben und zu leben, sehr stark.

Für deutsche Unternehmen, die in Osteuropa oder Russland Fuß fassen möchten, haben sich Assessments und Management-Audits als Personalsuche- und -auswahlinstrumente bewährt. Beim Gestalten des Assessment-Prozesses müssen jedoch einige Besonderheiten beachtet werden.

Im deutschsprachigen Raum basieren fast alle modernen Assessment-Prozeduren auf dem Kompetenzprofil von Werner Sarges. Das Kompetenzprofil für Fachkräfte und Experten besteht hiernach aus den vier Hauptblöcken „Persönlichkeit und soziale Kompetenz“, „Fachkompetenz und Leistung“, „kognitive und methodische Kompetenz“ sowie „Kommunikation und Soft Skills“. Das Kompetenzprofil für Manageraufgaben ist differenzierter. Diese Kompetenzblöcke werden jeweils auf definierte Kriterien heruntergebrochen. So kann das Kompetenzprofil für bestimmte Aufgaben auf verschiedenen Ebenen beurteilt werden.

Assessment-Prozess bei der Personalauswahl in Osteuropa und Russland

Diese Evaluation der Kompetenzen liefert valide und objektive Ergebnisse im deutschsprachigen Raum. In Osteuropa und in Russland laufen Assessment-Prozesse und Management-Audits jedoch schief, wenn sie sich auf die genannten Hauptblöcke beschränken. Weitere Kriterien müssen in Osteuropa berücksichtigt werden.

a. Haupt-Zusatzkriterium „wirtschaftlicher Hintergrund“: Ein Assessment der Faktoren, die die Profitabilität eines Unternehmens bestimmen, ist sehr wichtig. Denn einige Generationen im Osten neigen dazu, diese Parameter zu ignorieren.

  • Die ältere Generation zeigt einen Mangel an Bewusstsein für ökonomische Belange. Das ist zum einen der früheren Planwirtschaft geschuldet, in der kein Wert auf Profitabilität gelegt wurde, zum anderen dem Statusbewusstsein dieser Generation. Denn: Es ist eine Tradition, seinen Reichtum zu zeigen und sich teure Dinge zu kaufen, die man sich kaum leisten kann, was eine Kosten-Nutzen-Kalkulation entbehrlich macht.
  • Die „Perestroika-Generation“ hat gelernt, Geld in einem sich ändernden Umfeld zu verdienen. Sie versucht häufig, „schnelles Geld” zu machen. In Polen, Russland und der Slowakei sind beispielsweise die meisten wegen Steuerhinterziehung oder Betrug mit Firmen mit Sitz im Ausland verurteilten Personen zwischen 46 und 58 Jahren alt.
  • Die junge Generationin Osteuropa ist sich der finanziellen Belange bewusst, da ihr dieses Wissen bereits in der Schule und Universität vermittelt wurde. Dieses Wissen bleibt jedoch häufig sehr theoretisch – auch weil die Firmen in der Regel den Mitarbeitern auf den unteren Hierarchieebenen die finanziellen Zusammenhänge und Abhängigkeiten nicht vermitteln.
  • Die Expatriate-Zielgruppe verfügt über das größte Bewusstsein für diesen Faktor. Doch selbst in ihr das Bewusstsein für die finanziellen Belange häufig gering, insbesondere bei den Spezialisten mit überwiegend technischem Fachwissen.

b. Haupt-Zusatzkriterium „Projektmanagement“: Projektmanagement verlangt unter anderem folgende Fähigkeiten: Projektkonzipierung, Entwurf eines Projektplans, Ressourcenplanung, Zeitdisziplin, Termintreue und Durchführung von Kommunikationsplänen. In Osteuropa und Russland müssen beim Assessment-Prozess und im Management-Audit folgende generationsbedingten Besonderheiten beachtet werden:

  • Die ältere Generation zeigt Verständnis für große Projekte mit einer langen Laufzeit. Mittel- und kurzfristige Projekte hingegen werden häufig als weniger wichtig angesehen und die meisten Kandidaten sind nicht motiviert, diese umzusetzen
  • Die „Perestroika”-Generation verfügt über eine sehr pragmatische, manchmal sogar intuitive Herangehensweise an Projekte; man improvisiert gern, hat aber keine strukturierten Projektfähigkeiten.
  • Die junge Generation in Osteuropa zeigt recht gute Projektmanagementfähigkeiten, doch häufig unterschätzt sie die Bedeutung der Planungsphase. Zunächst wird ohne Planung und detaillierte Analyse agiert, und führt das nicht zum Ziel, wird das Projekt umdefiniert. Mehrausgaben und zeitliche Verzögerungen sind die Folge. Daher ist das Assessment dieser Fähigkeit in dieser Zielgruppe wichtig.
  • Die Expatriate-Zielgruppe verfügt aufgrund ihrer Arbeitserfahrung in westlichen Firmen meist über gute Projektmanagementfähigkeiten. Es kann jedoch eine gewisse „Ermüdung” („Das haben wir ja schon so oft gemacht“) beobachtet werden mit der Folge, dass der persönliche Vorteil höher eingeschätzt wird als das Projektergebnis.

c. Haupt-Zusatzkriterium „Interkulturelle Kompetenz“: Interkulturelle Kompetenz ist die Kompetenz zum Kommunizieren, Betreiben und Erreichen von Ergebnissen in einem länderübergreifenden Umfeld. Dazu gehören auch kognitive Aspekte, wie die Fähigkeit zu lernen, die Bereitschaft, andere Lebens-, Arbeits- und Verhaltensweisen zu akzeptieren, sich anzupassen, das heißt offen zu sein. Auch bei diesem Zusatzkriterium gilt es in Osteuropa und Russland generationsbedingte Besonderheiten zu beachten.

  • Die ältere Generation hat wenig interkulturelle Kompetenz. In der Sowjetzeit war Russland das bestimmende Land, und die ältere Generation pflegt noch immer diese Einstellung und erwartet von anderen, sich anzupassen. Deshalb muss bei dieser Zielgruppe diese Kompetenz gemessen und beurteilt werden.
  • Die „Perestroika-Generation“ hat auf die harte und praktische Weise gelernt, diesen Aspekt im geschäftlichen Umgang mit Ausländern zu beachten – durch Fehler und verlorene Aufträge. Niemand vermittelte ihnen das diesbezügliche Wissen, es ließ sich nur aus Erfahrungen ableiten. Das Assessment dieser Kompetenz ist deshalb in dieser Gruppe von besonderem Interesse.
  • Die junge Generation in Osteuropa glaubt, diese Kompetenz zu haben. In multi- oder internationalen Projekten zeigt sich jedoch oft das Gegenteil. Sammeln Vertreter der jungen Generation diese Erfahrung, sind sie oft frustriert. Es sollte folglich beim Auditieren überprüft werden, wie sie mit Enttäuschungen umgehen und wie sie lernen.
  • Die Expatriate-Zielgruppe bildet sozusagen den Gegenpol zur älteren Generation. Ihre Bezugsgröße stellen die westlichen Länder, in denen sie arbeiteten, dar. Sie erwarten, dass die lokalen und nativen Kulturen sich deren Standards anpassen und ihr Verhalten ändern. Das führt zu zahlreichen Konflikten, in denen sie Hartnäckigkeit und wenig Kompromissbereitschaft zeigen.

Zusatzkriterium „Einfluss der Kultur“

Des Weiteren sind beim Planen und Durchführen von Assessments und Audits in Osteuropa folgende Spezifika und Beschränkungen der osteuropäischen Kultur zu beachten.

  • Beziehungsorientierte Geschäftskultur: Anders als westeuropäische Länder agieren Firmen in Osteuropa und Russland nicht auf Basis einer zielgerichteten Geschäftskultur, sondern einer beziehungsorientierten. Statt Motivation und Effizienz aus dem Erreichen eines Ziels zu ziehen, ziehen sie ihre Effizienz und Motivation aus einer guten persönlichen Beziehung. Das bedeutet: Der Prozess ist langsam, solange keine Beziehung aufgebaut ist, und er gewinnt an Effizienz, wenn eine Beziehung besteht. Betrachtet man das Projektmanagement, heißt das, dass zum Beispiel beim ersten Projekt zunächst einmal 150 Prozent mehr Zeit benötigt wird, um die Ziele zu erreichen. Ist aber erst mal ein gemeinsames Projekt gelaufen und ist die Beziehung aufgebaut, kann das nächste in weniger als 100 Prozent der Zeit durchgeführt werden.
  • Information als Instrument der Machtausübung: Information wird in Osteuropa oft als Instrument der Machtausübung eingesetzt. Daher erhalten viele Angestellte keine Informationen und wissen nicht, warum sie bestimmte Aufgaben erledigen. Das führt zu einem Verlust an Effizienz. Es gibt keinen Raum für Fehler, und häufig werden die Angestellten für Fehler bestraft. Deshalb treffen sie Entscheidungen nicht selbst, sondern verlagern diese auf die nächsthöhere Managementebene. Das macht den Entscheidungsfindungsprozess langsam und ineffizient. Dieses Verhalten sollte bei allen Teilnehmern beurteilt werden.
  • Unsicherheitsvermeidung: Die Menschen streben nach Sicherheit und Stabilität. Das macht es für die Unternehmen einfach, ihre Angestellten durch Stabilität und sicheres Einkommen an sich zu binden. Es bedeutet aber gleichzeitig ein geringes Interesse am Unternehmertum und eine geringe Bereitschaft zu Veränderungen. Diese Dimension sollte bei Assessments und Audits in Osteuropa und Russland berücksichtigt werden.
  • Motivation nur durch Sicherheit: Viele Menschen in Osteuropa suchen primär eine sichere Arbeit und Sicherheit motiviert sie. Die Motivation hingegen, aktiv den Prozess zu gestalten, ist gering. Daher sind Aspekte wie „Bereitschaft zu lernen“, „proaktive Erweiterung der Erfahrung” und „Mut zur Entscheidungsfindung” von größter Wichtigkeit bei Assessments und Audits in Osteuropa.
  • Abweichendes Führungsverständnis: Die Erwartungen an den Führungsstil variiert in Osteuropa und Russland sehr deutlich. In Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien und der Slowakei ist die individuelle Leistung wichtiger als die der Gruppe, in Russland, Rumänien und Bulgarien hingegen wird die Leistung des Teams höher bewertet als die Leistung des Einzelnen. Diese Faktoren können mit den Aspekten „Teamkompetenz” und „Kooperationsfähigkeit” gemessen werden.

Fazit: Deutsche Firmen, die in Osteuropa und Russland Fuß fassen und geeignete Mitarbeiter sowie Führungskräfte finden und binden wollen, müssen den Assessment-Prozess und ihre Management-Audits modifizieren. Denn: Die Kulturen in Osteuropa prägen die Arbeit und das Arbeitsumfeld der Menschen. Folglich müssen sie in die Beurteilung der Zielgruppen einfließen.

Autor: Dr. Michael Finkelstein

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