Durch Kata Coaching Verbesserungen bei der Belegschaft schaffen
Unternehmensführung

Durch Kata Coaching Verbesserungen bei der Belegschaft schaffen

Dr. Daniela Kudernatsch
Am

Der Changebedarf in Unternehmen ist heute oft so groß, dass er top-down nicht mehr erfasst und gemanagt werden kann. Das hat das Unternehmen Toyota erkannt. Deshalb schult es die Kompetenz seiner Mitarbeiter, Verbesserungsbedarfe selbst zu erkennen und zu befriedigen – unter anderem mit Hilfe des Kata Coachings.

Viele Unternehmen setzen bei der Einführung von Lean Management auf die vom Toyota Produktionssystem (TPS) bekannten Lean-Tools. Das heißt, sie führen solche Werkzeuge wie Just-in-time, One-piece-flow, 5 S und Kanban ein. Doch nach einiger Zeit registrieren sie: So erzielen wir zwar partielle Verbesserungen, doch der erhoffte Quantensprung bleibt aus – denn es gelingt uns nicht, eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung in unserer Organisation zu verankern.

Die genannten Tools stellen sozusagen nur die sichtbare Seite des Lean Management dar, die auch in zahlreichen Büchern beschrieben wird. Unbeantwortet bleibt in ihnen jedoch meist die Frage: Wie bringen Unternehmen diese Tools zum Laufen? Denn hierfür gibt es kein Patentrezept. Unter anderem, weil neben den Geschäftsfeldern der Unternehmen, auch deren Struktur und Kultur verschieden sind.

Generell gilt: Unternehmen sind nicht erfolgreich, wenn sie nur die Toyota-Lösungen kopieren. Sie können zwar ähnlich wie der japanische Konzern agieren, doch letztendlich muss jedes Unternehmen seine eigenen Routinen entwickeln, wie es seine Performance steigert und herausfordernde Ziele erreicht. Klar ist jedoch: Ein Unternehmen, das sich in Richtung „Lean Organization“ entwickeln möchte, muss sich auch in Richtung Lernende Organisation entwickeln. Das heißt, seine Mitarbeiter müssen lernen, ihre (Denk-und Handlungs-)Gewohnheiten zu überdenken und neue, zielführende Denk- und Handlungsmuster zu entwickeln.

Neue Denk- und Handlungsroutinen entwickeln

Viele Tätigkeiten in Organisationen sind eine Konsequenz der Gewohnheiten, die sich deren Mitglieder im Verlauf vieler Jahre, teils sogar Jahrzehnte angeeignet haben – bewusst oder unbewusst. Sie wurden so oft wiederholt, dass sie

  • in der DNA der Mitarbeiter verankert sind und
  • sich in den Abläufen und Prozessen sowie der Struktur der Organisation widerspiegeln.

Entsprechend selbstverständlich werden sie ausgeführt, wenn Mitarbeiter oder Teile der Organisation vor gewissen Herausforderungen stehen.

Solche Routinen genannten Denk- und Verhaltensgewohnheiten sind nichts Schlechtes. Im Gegenteil! Sie halten den Betrieb am Laufen. Personen und Organisationen benötigen sie, um ihren Alltag zu meistern. Denn ansonsten würden sie endlos viel Zeit und Energie auf alltägliche Aufgaben beziehungsweise Standardaufgaben verwenden. Zum Problem werden Routinen erst, wenn die damit verbundene Art, Aufgaben zu lösen,

  • als die einzig mögliche erachtet und nicht mehr hinterfragt wird und
  • auch beibehalten wird, wenn zum Beispiel aufgrund veränderter Rahmenbedingungen ein anderes Vorgehen nötig wäre.

Dann entwickeln sich die Routinen zum Hemmschuh für die Entwicklung der Person oder Organisation.

Die Angst vor Veränderung überwinden

Personen und Organisationen fällt es meist schwer, Routinen aufzugeben, denn sie vermitteln ihnen Sicherheit. Sie haben zudem eine identitätsstiftende Funktion. Hinzu kommt: Wenn Personen(-gruppen) ihre Denk- und Verhaltensmuster verändern möchten, müssen sie ihre sogenannte Komfortzone verlassen und sich auf unbekanntes Terrain begeben. Das löst bei ihnen Unsicherheit aus. Ohne ein Verlassen der Komfortzone ist jedoch kein Lernen und somit personales oder organisationales Wachstum möglich.

Wie kann man dieses Dilemma überwinden? Das Unternehmen Toyota hat erkannt: Wenn wir die Zukunft meistern möchten, müssen wir als Organisation im Uns-Verändern und -Verbessern eine ähnliche Routine entwickeln, wie – bildhaft gesprochen – Menschen beim Autofahren. Und die mit dem Streben nach Verbesserung verbundenen Tätigkeiten? Sie müssen für unsere Mitarbeiter so selbstverständlich sein, dass sie ihnen keine Furcht einflössen. Im Gegenteil! Als automatisierte Handlungen vermitteln sie ihnen sogar Sicherheit. Sie werden zu einem Bestandteil ihrer beruflichen Identität.

Routine im Lösungen-Entwickeln entwickeln

Routinen sind das Ergebnis eines längeren Prozesses des fortlaufenden Wiederholens und (Ein-)Übens. In der musikalischen Erziehung, beispielsweise bei Erlernen des Geige-Spielens, ist dieses permanente Üben gang und gäbe. Ebenso im Sport. Turner trainieren gewisse Bewegungsabläufe so lange, bis sie diese verinnerlicht haben. Und danach wenden sie sich schwierigeren Übungen zu, sodass ihr sportliches Können sukzessiv steigt. Doch nicht nur dieses! Durch das permanente Üben und Reflektieren, was wie noch besser gemacht werden kann, erwerben (angehende) Profisportler und Berufsmusiker zunehmend die Kompetenz, eigenständig ihre Leistung zu steigern – unter anderem, weil sie wissen, welches Verhalten zielführend ist. Sie werden sozusagen zum Coach ihrer eigenen Person.

Genau dieses bewusste Einüben von Routinen – und zwar nicht für gewisse Lösungen, sondern für das Entwickeln neuer Lösungen – ist das zentrale Element des Toyota Produktionssystems (siehe auch Rother, M.: Die Kata des Weltmarktführers – Toyotas Erfolgsmethoden, Frankfurt/New York 2009).

Und eine Kernaufgabe der Toyota-Führungskräfte ist, ihre Mitarbeiter als Coach beim Entwickeln dieser Kompetenz zu unterstützen. Das heißt: Sie geben ihnen bei neuen Aufgaben nicht die Lösung vor. Sie leiten ihre Mitarbeiter vielmehr bei deren Entwicklung an – mit dem übergeordneten Ziel, dass ihre Mitarbeiter selbst die hierfür erforderliche Kompetenz erwerben. Oder anders formuliert: Die Führungskräfte versuchen schrittweise die Komfortzone ihrer Mitarbeiter zu erweitern, so dass diese sukzessiv die Kompetenz und das nötige Selbstvertrauen erwerben, stets größere Herausforderungen eigenständig zu meistern. Für diese systemische Erweitern der Problemlöse-Kompetenz hat Toyota ein systematisiertes Verfahren entwickelt: Die sogenannte Toyota-Kata.

Die Toyota-Kata

Als Kata werden im asiatischen Kampfsport Verhaltensweisen bezeichnet, die durch stetiges Üben und Anwenden soweit verinnerlich wurden, dass sie beinahe reflexhaft ausgeführt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, bringt der Meister seinen Schülern zunächst einfache Bewegungsabläufe bei. Diese üben die Schüler so ausdauernd, dass sie ihnen in Fleisch und Blut übergehen. Danach folgen schwierigere Aufgaben, die den Schüler zum Beispiel seinem Ziel, ein Samurai zu werden, Schritt für Schritt näher bringen.

Um die Kompetenz von Menschen so systematisch zu entwickeln, sind drei Dinge nötig:

  1. Ich muss wissen, welches übergeordnete Ziel ich erreichen möchte. Ich benötige folglich eine Vision.
  2. Ich muss wissen, was ich lernen muss, um das angestrebte Ziel zu erreichen – das heißt was meine Lernfelder sind. Und:
  3. Ich muss einen Weg, eine Methode kennen, um mir die noch fehlende Kompetenz anzueignen.

Genau diese drei Elemente findet man bei der Toyota-Kata. Über allem schwebt die Nordstern genannte Vision von Toyota – das vom Konzern angestrebte Idealbild. Hieraus leitet sich die sogenannte Verbesserungs-Kata ab, mit deren Hilfe Toyota erreichen möchte, dass sich die Prozesse dem Idealzustand annähern. Und ihr zur Seite steht die Coaching-Kata, mit deren Hilfe Toyota die (Problemlöse-)Kompetenz seiner Mitarbeiter systematisch ausbaut – in vielen kleinen Schritten und Projekten, die alle in Richtung Idealbild gehen.

Die Verbesserungs-Kata

Die Verbesserungs-Kata ist keine Lean-Methode, sondern eine Führungsroutine, mit der sich Herausforderungen meistern lassen. Das Erlernen und Einüben dieser aufgabenunabhängigen Routine ermöglicht mit der Zeit eine echte Verbesserungskultur.

Die Verbesserungs-Kata zielt darauf ab, sich schrittweise einem Ziel-Zustand zu nähern. Dabei wird der Weg dorthin nicht vorgegeben. Er wird vielmehr im Rahmen eines experimentellen Vorgehens Schritt für Schritt ermittelt. Wichtige Voraussetzungen hierfür sind eine genaue Beschreibung des Ist- und des Ziel-Zustands. Die definierten Ziel-Zustände sollen die Mitarbeiter ermutigen, sich in ihre Lernzone zu begeben und so Schritt für Schritt ihre Komfortzone zu erweitern. Dabei werden sie von den Führungskräften mittels der Coaching-Kata unterstützt.

Vereinfacht dargestellt besteht die Verbesserungs-Kata aus vier (Arbeits-)Schritten.

Schritt 1: Sein Ziel ist es, die von der Vision vorgegebene Richtung für die langfristige Entwicklung grob zu verstehen.

Schritt 2: In ihm wird der Ist-Zustand analysiert und beschrieben.

Schritt 3: In ihm werden neue Ziel-Zustände auf dem Weg zum Soll-Zustand definiert. Zudem wird ermittelt, welche „Hindernisse“ aus dem Weg zu räumen sind, um den Ziel-Zustand zu erreichen. Dabei lautet die Maxime: Die definierten Ziel-Zustände müssen herausfordernd, aber erreichbar sein. Und: Für ihr Erreichen darf es nach keine bekannte Lösung geben. Die Mitarbeiter müssen Neuland betreten.

Schritt 4: Nun wird im PDCA-Verfahren (Plan, Do, Check, Act) schrittweise auf das Erreichen des Zielzustands hingearbeitet. Das heißt, nach einer ersten (Maßnahmen-)Planung werden die Mitarbeiter aktiv. Dabei checken sie regelmäßig, inwieweit ihr Vorgehen zielführend ist, bevor sie es in ihr Alltagshandeln überführen, so dass es zum neuen Standard wird, auf dessen Basis weitere Verbesserungen erfolgen. Die Führungskräfte begleiten die Mitarbeiter in diesem Prozess.

Die Coaching-Kata

Die Führungskräfte sind folglich nicht Vordenker und Vormacher für ihre Mitarbeiter. Sie sind primär Lernbegleiter und Coachs ihrer Mitarbeiter. Sie unterstützen diese beim Entwickeln und Einüben neuer Routinen und zwar ebenfalls mittels eines systematisierten Verfahrens, der Coaching-Kata.

Dieses orientiert sich an fünf Fragen, die die Führungskraft ihrem Mentee (beispielsweise einem von ihr gecoachten Gruppenleiter) oder unmittelbar den Mitarbeitern in regelmäßigen Treffen immer wieder stellt.

Frage 1: Was ist der Ziel-Zustand des Prozesses?

Der Ziel-Zustand soll zu Beginn der Coachings vom Mentee (unabhängig davon, ob es hierbei um eine Person oder Mitarbeitergruppe handelt) stets aufs Neue beschrieben werden. Das Ziel hierbei: Der angestrebte Ziel-Zustand soll verinnerlicht werden und dem Mentee im weiteren Coachingprozess stets bewusst sein – sozusagen als Prüfstein beispielsweise beim Bewerten des aktuellen Ist-Zustands und möglicher Entscheidungen.

Frage 2: Was ist der aktuelle Ist-Zustand?

Aktuell bedeutet: Was ist Zustand heute – zum Beispiel, nachdem erste Maßnahmen zum Erreichen des Ziels ergriffen wurden? Dieses Reflektieren des jeweils aktuellen Ist-Zustands in den Coachingsitzungen setzt dessen kontinuierliche Erfassung mit Zahlen oder Darstellung in Diagrammen voraus.

Frage 3: Was hindert Sie daran, den Ziel-Zustand zu erreichen?

Der Mentee soll ermitteln, welche Hindernisse dem Erreichen des Ziel-Zustands noch im Wege stehen, um hieraus die noch vorhandenen Handlungs- und Lernfelder abzuleiten.

Frage 4: Welches Hindernis gehen Sie als nächstes an und was ist deshalb der nächste Schritt?

Das Ziel hierbei: Der Mentee soll sein weiteres Vorgehen planen – zum Beispiel abhängig von der Relevanz der möglichen Maßnahmen für die Zielerreichung oder den vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen. Zugleich wird hiermit ein neuer PDCA-Zyklus gestartet.

Frage 5: Bis wann können wir uns ansehen, was Sie aus dem letzten Schritt gelernt haben?

Diese Frage soll die erforderliche Verbindlichkeit erzeugen – auf der Handlungs- und der Lernebene.

Das beschriebene Coaching-Verfahren sowie Verfahren zur Mitarbeiterführung und -entwicklung praktiziert Toyota seit Jahrzehnten mit dem Ziel, die vorhandene Kultur der kontinuierlichen Verbesserung auszubauen und noch stärker in der DNA der Mitarbeiter sowie der Organisation zu verankern. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass der Changebedarf in den Unternehmen heute oft so groß und vielschichtig ist, dass er immer schwieriger top-down erfasst und gemanagt werden kann. Daher müssen sich die Mitarbeiter in Richtung Selbstentwickler entwickeln, die selbst erkennen,

  • was es aufgrund des angestrebten Ideal-Zustands zu tun gilt,
  • wo bei ihnen noch ein Entwicklungsbedarf besteht und diesen selbst befriedigen können.

Diese Kompetenz bei Mitarbeitern zu entwickeln, erfordert Zeit, Geduld und Liebe zum Detail; des Weiteren Führungskräfte, die ein entsprechendes Selbstverständnis haben. Sie müssen sich unter anderem als Coach und Lernbegleiter ihrer Mitarbeiter verstehen und bereit sein, sich gemäß der Maxime „‚go and see‘ statt ‚meet and mail‘“ intensiv mit ihren Mitarbeitern und den wertschöpfenden Prozessen zu befassen – und zwar kontinuierlich. Deshalb lautet eine Faustregel bei Toyota: Lieber ein Mal zehn Minuten pro Tag coachen als ein Mal pro Woche eine Stunde.

Das Coachen der Mitarbeiter setzt eine entsprechende Investition von Zeit seitens der Führungskräfte voraus. Das klingt nach einer Mehr-Belastung für sie. Faktisch führt Kata Coaching jedoch mittelfristig zu einer Entlastung der Führungskräfte. Denn je mehr Kompetenz und somit Routine die Mitarbeiter im eigenständigen Lösen von Problemen haben, umso seltener ist die Führungskraft als Unterstützer und „Trouble-Shooter“ gefragt.

Über den Autor

Dr. Daniela Kudernatsch

Dr. Daniela Kudernatsch Dr. Daniela Kudernatsch ist Inhaberin der Unternehmensberatung KUDERNATSCH Consulting & Solutions, Straßlach bei München, die Unternehmen bei der Strategieumsetzung unterstützt. Die promovierte Betriebswirtin ist ausgebildete OKR-Masterin. Sie ist unter anderem Autorin des Buch „Hoshin Kanri – Unternehmensweite Strategieumsetzung mit Lean-Management-Tools“. www.kudernatsch.com
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