Authentizität oder Inszenierung? Was macht erfolgreich?
Karriere

Authentizität oder Inszenierung? Was macht erfolgreich?

Julia Sobainsky
Am

Ein mies gestimmter Chef betritt das Büro und murrt nach den Unterlagen für die Präsentation. Auf sein Verhalten angesprochen erwidert der schlecht gelaunte Chef, er sei halt authentisch. Angenehm ist solch ein Verhalten aber trotzdem nicht. Und außerdem stellt sich die Frage: Ist das tatsächlich Authentizität?

Authentizität: Das begehrte Gut

Alle reden davon, dass man authentisch sein müsse. Authentische Führungskräfte seien beliebter bei den Mitarbeitern, hätten einen höheren Wiedererkennungswert, wären sozusagen eine „Marke“, man wisse, woran man bei ihnen sei. Natürlich weiß man bei einem ewig launischen Chef, woran man bei ihm ist. Was aber ist an solcherart authentischem Verhalten erstrebenswert, außer der Tatsache, dass die Mitarbeiter immer wissen, woran sie sind? Wohl kaum etwas.

Immer wieder müssen Mitarbeiter erleben, dass schlechtes Benehmen von Vorgesetzten mit dem Modebegriff „Authentizität“ gerechtfertigt wird. Und wer mag schon wirklich widersprechen? Heißt es nicht, um authentisch rüber zu kommen, sei es notwendig, die eigenen Gefühle zu zeigen? Nur können sich Mitarbeiter gegenüber dem Vorgesetzten eine solche Form der „Authentizität“ kaum erlauben, ohne ihren Job zu riskieren. Ist Authentizität also nur etwas für die höheren Hierarchiestufen? Oder ist es für jeden erstrebenswert, authentisch zu sein?

Rolle versus Authentizität?

Wir spielen Rollen. Immer und überall. Im Beruf bin ich Coach und Trainerin, halte Vorträge vor großen Auditorien. Ich bin wahlweise „öffentliche Person / Schauspielerin / Referentin“ (in meinen Vorträgen), Fragenstellerin (als Coach), Lehrerin und Entertainerin (als Trainerin). Zuhause bin ich Mutter (Hausaufgaben kontrollieren, Tränen trocknen, Lieblingsessen kochen, Wäsche waschen usw.), Ehefrau (reflektieren, lieben, Ansprechpartner, Gefährtin), Freundin (Probleme anhören, Hose umnähen, Blumen gießen), Tochter, Schwester, Nachbarin usw. Ohne zu hinterfragen nehmen wir all diese Rollen an und füllen sie aus. Wir sind dabei so, wie wir sind, alltäglich eben. Aber das ist nicht immer das, was im Allgemeinen unter Authentizität verstanden wird. Oftmals sind wir launisch, langweilig, unglamourös. Wir machen uns erst dann Gedanken, wenn was schief läuft: Wenn sich Freunde abwenden, Ehen scheitern, ständiger Streit mit den Kindern vorherrscht. Das eigene Verhalten müssen wir aber im beruflichen Umfeld viel stärker reflektieren: Durch die essenzielle Abhängigkeit vom Arbeitgeber oder Auftraggeber fühlen sich viele Menschen unter Druck, ein bestimmtes Verhalten zu zeigen und andere Verhaltensweisen wiederum nicht zu zeigen: Je konservativer und formaler das berufliche Umfeld, desto stärker wird eine Anpassung des Mitarbeiterverhaltens an dieses Umfeld verlangt.

Der bunte Hund macht krank

Wenn wir jedoch immer ein passgenaues Verhalten zeigen, ist dies auf Dauer sehr anstrengend. Immerzu müssen wir kontrollieren, dass wir nicht zu viele persönliche Gefühle zeigen, nicht zu viele persönliche Gedanken, nicht zu viele persönliche Verhaltensweisen. Auf Dauer gesehen kann das krank machen, innerlich ein Gefühl der Entfremdung von sich selber verursachen und am schlimmsten: Menschen kommen auf diese Weise nicht in ihre Potenziale, die dann wiederum nicht dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen. Das Authentizität notwendig ist, ist also einzusehen und verspricht auch für den Arbeitgeber jede Menge Vorteile. Der Wunsch nach Authentizität nimmt also zu, auf der anderen Seite wissen wir im Geheimen, dass so, wie wir authentisch sind, man uns vielleicht auch gar nicht haben mag. Denn unter Authentizität wird häufig etwas verstanden, was nach spannender und interessanter Persönlichkeit klingt. Wir aber finden uns vielleicht weder spannend noch interessant, sondern oft langweilig oder launisch.

Nur wollen wir auch bei anderen nicht die unhöfliche, schlecht gelaunte, langweilige Authentizität. Wir wollen die andere. Die nette, bequeme, höfliche, interessante. Und schon sehen sich die Menschen mit einer neuen (Heraus)Forderung konfrontiert: Der Forderung, in ihrer Authentizität spannend, interessant, freundlich, kurz: vollendet zu sein.

War es früher ausreichend, sich selber im Job zurückzunehmen und anzupassen, ist durch diesen neuen Authentizitätsanspruch auch der Anspruch an Mitarbeiter und Führungskräfte gewachsen. Man muss sich nun nicht nur einfach anpassen und als graue Maus wie einst in der Masse der anderen grauen Mäuse verschwinden, sondern man soll nun ein bunter Hund sein, der neben all seinen beruflichen und fachlichen Kompetenzen auch noch eine spannende Persönlichkeit präsentiert. Was nutzt ein solcher Authentizitätsanspruch? Nichts. Denn er ist genauso anstrengend, wie die Rollenanpassung an ein konservatives Umfeld, dass dem Mitarbeiter eigene Emotionen und Gedanken verbietet. In beiden Fällen muss man sich verbiegen, was auf Dauer sehr anstrengend und krankmachend ist.

Alleinstellungsmerkmale = Authentizität?

Auf der anderen Seite wissen wir, dass immer mehr Menschen über ähnliche oder gar gleiche Qualifikationen verfügen. Das macht uns austauschbar und steigert damit die Abhängigkeit im Job und die Angst vor Jobverlust. In den letzten Jahren hat genau dieser Fakt dazu geführt, dass Authentizität zum Modewort avancierte. Sind wir vom Regen in die Traufe gefallen? Gibt es aus dem Dilemma überhaupt einen Ausweg?

Halten wir fest: Deckungsgleiche Anpassung im Job macht auf Dauer krank, weil es anstrengend ist, sich selber permanent zu verleugnen. Spannende Authentizität vorzugaukeln ebenfalls, aus den gleichen Gründen. Einen USP (unique selling proposition), also ein Alleinstellungsmerkmal, im unübersehbaren Markt der Konkurrenten aufzuweisen, scheint absolut notwendig, um den besten Job zu bekommen und auch zu behalten. Wie also kann hier eine Lösung aussehen?

Privatpersonen sind nicht gefragt

Schauspieler lernen bereits in der Schauspielschule, dass sich das Publikum nicht für sie als „Privatperson“ interessiert. Sie mögen antworten, dass es dann über all die Stars und Sternchen doch keine Homestorys gäbe? Nun, da irren Sie gewaltig. Denn das, was uns Stars von sich persönlich zeigen, ist nicht wirklich privat. Es ist eine Rolle des privaten Stars, die sie für die Öffentlichkeit – also für uns – spielen. Denn wollen Sie tatsächlich wissen, wie Ihr Lieblingsstar privat ist? Ganz privat? Mit schlechter Laune, einer ausgeleierten Schlafanzughose, Pickeln im Gesicht und Mundgeruch? Nein? Eben. Und diese private Person mag Ihnen Ihr Star auch gar nicht zeigen. Denn sie stände im diametralen Gegensatz zum Glamour, den wir von unserem Star erwarten. Wir erwarten die Rolle „Star privat“. Und die bekommen wir präsentiert. Unserer Erwartung wird entsprochen. Und genauso verhält es sich auch bei unserem Chef und jedem Mitarbeiter, der Authentizität zeigt. Schlussendlich geht es nicht um private Animositäten, sondern um eine inszenierte Darstellung der besten und wünschenswertesten Eigenschaften von sich selber. Deshalb irritiert auch der eingangs beschriebene Chef mit seiner schlechten Laune.

Aber wie kommt man da dran, an diese Form der Authentizität, die nicht so richtig echt, dafür aber viel schöner ist? Erst einmal: Es geht auch hier nicht darum etwas darzustellen, was man nicht ist. Es geht lediglich darum, nicht alles zu zeigen, was man manchmal ist. Verzichten wir erst einmal auf die Darstellung von schlechter Laune, Langeweile und Unsicherheit und ersetzen dies alles erst einmal durch schlichte Höflichkeit. Denn soweit können die meisten folgen, ohne sich verbiegen zu müssen. Dennoch handelt es sich ja noch längst nicht um das, was gerne „Authentizität“ genannt wird, was ich aber mal „inszenierte Authentizität“ nennen möchte. Denn es geht auch hierbei darum, ganz bestimmte Anteile der eignen Persönlichkeit zu zeigen, ja mehr noch, sie in Szene zu setzen. Und das geschieht, ganz klassisch wie in der Schauspielschule, am besten mit Elementen des professionellen Schauspieltrainings.

Inszenierte Authentizität

Für den einen oder anderen mag diese Wortkombination auf den ersten Blick widersprüchlich wirken, und aus diesem Grund werfen wir mal rasch einen Blick hinter die Kulissen.

Selbstbild und Fremdbild sind nicht bei allen Menschen deckungsgleich. Nicht selten hält sich jemand für unwiderstehlich und erntet beim anderen Geschlecht nur ein müdes Lächeln. Mitunter glauben Menschen, auf andere vertrauenswürdig zu wirken, aber keiner würde ihnen jemals ein Geheimnis verraten. Wo sind Sie in Ihrem Fremdbild nicht deckungsgleich mit Ihrem Selbstbild? Die besten Hinweise auf falsche Selbstwahrnehmung erhalten wir immer da, wo wir uns von anderen Menschen unverstanden oder ungerecht behandelt fühlen, oder uns immer wieder über ähnliche Vorfälle aufregen, die uns im Zusammenhang mit anderen Menschen passieren. Was da nicht stimmt, ist in der Regel die Selbstwahrnehmung. Wir tun gut daran, sie zu korrigieren. Haben wir ein einigermaßen genaues Bild von uns selber, geht es an die Inszenierung. Was mag ich an mir besonders? Welche kleinen Macken sind vielleicht liebenswürdig (fragen sie dazu auch unbedingt Freunde und Verwandte!)? Wie würden Freunde von Ihnen Sie jemand völlig Fremdem beschreiben? Was ist „typisch“ für Sie? Erstellen Sie eine Liste!

Regie des eigenen Selbst

Haben Sie eine Liste Ihrer „typischen“ Eigenschaften erstellt, geht es an Ihre Wünsche und Ideen. Wie wären Sie gerne? Haben Sie Vorbilder? Wenn ja, was fasziniert Sie besonders an diesen Menschen? Wie weit sind Sie mit Ihrer Persönlichkeit von diesen gewünschten Eigenschaften entfernt? Machen Sie sich eine zweite Liste mit all jenen Eigenschaften, die Sie als erstrebenswert für ein gutes Image ansehen. So entsteht dann Ihr USP, Ihr Alleinstellungsmerkmal.

Beginnen Sie langsam, Stückchen für Stückchen, zu überlegen, wo in Ihrem Leben Sie diese Eigenschaften bereits ausleben und wo es gut wäre, es zu tun. Sie werden feststellen, es gibt durchaus Überschneidungen mit Ihrem Ideal. Hier beginnt die Persönlichkeitsentwicklung. Im Alltag immer wieder danach zu streben, sich zu verbessern, sich die gewünschten Eigenschaften zu erarbeiten.

Doch nicht nur Ihr persönliches Ideal drängt nach Verwirklichung, es gibt ja auch Erwartungen, die an Sie bzw. die Rollen, die Sie im Job und auch privat ausfüllen, gerichtet werden. So wäre es z.B. wenig sinnvoll, keine Anweisungen an andere Menschen erteilen zu wollen, wenn man eine Führungsrolle inne hat. Die Erwartungen, die die Mitarbeiter an die Führungskraft stellen, gehen nun mal dahin, dass Anweisungen erteilt werden. Wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden, sorgt das genauso für Irritationen und Komplikationen wie ein „authentischer“ Chef mit schlechter Laune.

Man tut also gut daran, die Inszenierung der eigenen Authentizität an die Erwartungen der Mitmenschen zumindest teilweise anzupassen. Denn Authentizität nehmen unsere Mitmenschen nun mal nur dann wahr, wenn ihre Erwartungen von uns und unserer Rolle erfüllt werden. Dennoch geht es nicht ausschließlich darum, Erwartungen zu erfüllen. Sie finden aber durch die bewusste Regie einen guten Kompromiss zwischen den an Sie gerichteten Erwartungen und der Persönlichkeit, die Sie leben wollen.

Die Premiere

Natürlich rücken Sie nicht eines schönen Tages mit all Ihren neu erworbenen Eigenschaften raus und überraschen Ihre Umwelt. Abrupte Wechsel werden immer als unecht wahrgenommen. Aus diesem Grund kommt Ihnen das langsame persönliche Reifen entgegen. Sie entwickeln sich nach und nach und niemandem fällt Ihre Veränderung plötzlich auf.

Achten Sie aber dennoch darauf, dass Sie wahrgenommen werden. Andere sollen bemerken, wie Sie sind. Zeigen Sie Ihre Authentizität, denn sonst nutzt Ihnen all die Inszenierungsarbeit nichts. Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel, lassen Sie es vor allem vor jenen Menschen leuchten, die für Ihr Vorwärtskommen verantwortlich sind. Klappern gehört nun mal zum Handwerk. Aber klappern Sie nicht allzu laut. „Dezent aber deutlich wahrnehmbar“, sollte die Devise lauten. Denn in zahlreichen Untersuchungen wurde längst nachgewiesen, dass nur derjenige die Karriereleiter wirklich erklimmt, der von anderen auch gesehen wird. Falsche Bescheidenheit sollte also nicht Bestandteil Ihres neu erworbenen Images sein.

Denn generell werden Sie nur dann Gelegenheit haben, die beste Version von sich selber zu leben, wenn Sie die Freiheit dazu haben. Und diese Freiheit wird größer, desto höher Sie steigen.

Über den Autor

Julia Sobainsky

Julia Sobainsky Julia Sobainsky - Die Expertin für Charisma, Ausstrahlung und Wirkung studierte Schauspiel und ist Coach und Trainerin. Seit 1996 ist mit ihrem Unternehmen Pro Charisma am Markt und Unterstützt Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen dabei, den eigenen Auftritt zu optimieren. Ihr Buch "Der Neue Restaurant Knigge" erschien 2007.
Zum Autorenprofil

Kommentare

  1. von www.ethikconsult.de am 21.02.2011 | 11:02

    Liebe Frau Sobainsky,

    man kann auch fragen, ob dieser Chef in dem Moment wirklich authentisch ist, oder ob er nur einen Kontrollverlust erleidet. Authentizität wird manchmal mit „Echtheit“ gleichgesetzt. Das Ausleben der Gefühle eins zu eins ist eben für die meisten Menschen „echt“. Authentsich sein bedeutet aber stattdessen noch mehr, nämlich dass jemand nach seinen Werten (und nicht nur nach seinen Launen) handelt. Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit gehören zu Authentizität unbedingt dazu. Deshalb gefällt mir der Teil „Regie des eigenen Selbst“ besonders gut. Vielen Dank!

    Beste Grüße

    Agnes Hümbs

  2. von b.d. am 21.07.2011 | 17:17

    Liebe Frau Sobainsky. Mir hat Ihr Text wieder Mut gegeben und alles wieder ins rechte Licht gerückt. Vielen Dank fuer Ihre Zeilen!
    b.d.

Kommentar schreiben:

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Erhalten Sie jeden Monat die neusten Business-Trends in ihr Postfach!
X