
Unternehmenskommunikation 2.0 – Die totale Transparenz
Nicht Geheimniskrämerei, sondern totale Transparenz in der Unternehmenskommunikation, könnte schon bald der neue Standard sein. Eine Entwicklung, die für fast alle PR-Leute wie ein Albtraum klingt und für jeden Journalisten wie ein Wunschtraum. Doch handelt es sich hierbei nur um eine romantische Idee oder um einen messbaren Erfolgsfaktor im Kampf um die Gunst der Kunden?
Für den US-Amerikaner Glenn Kelman schien die totale Transparenz in der Unternehmenskommunikation die einzige Möglichkeit zu sein, seine Firma aus der Krise zu führen, als er als CEO beim Online-Bankhaus Redfin zu arbeiten begann, das mit einem neuartigen Konzept die Welt der Immobilienfinanzierungen auf den Kopf zu stellen versuchte.
Das Konzept von Redfin lautete: Senkung der in den USA üblichen, sehr hohen Gebühren bei Immobilienfinanzierungen um zwei Drittel gegenüber dem, was sonst an Provision fällig wird (üblicherweise mehr als 6 Prozent der Kaufsumme). Die Kunden der Online-Bank waren von der Innovation begeistert — weniger hingegen die Konkurrenz, die ihre Margen dahinschmelzen sah.
Es dauerte nur eine kurze Zeit und Glenn Kelman sah sich einer regelrechten Schmähkampagne ausgesetzt; einer Kampagne, die auf das wichtigste Kapital Redfins zielte — die Glaubwürdigkeit des Unternehmens. Was sollte man gegen derlei Verleumdungen tun? Als aus der kommunikativen eine existenzielle Bedrohung wurde, entschloss sich Kelman zurückzuschlagen – und bloggte los. Über die schmutzigen kleinen Geheimnisse der Branche. Über die Tricks der Konkurrenz. Über seine eigenen Sorgen um das Unternehmen selbst.
Ergebnis: Die Kunden liebten Redfin für diese neue Offenheit in der Unternehmenskommunikation — sie verbündeten sich regelrecht mit dem Unternehmen. Und Glenn Kelman bekannte: „Ich glaube fest daran: Würde Redfin absolut nackt vor aller Welt dastehen, würden noch mehr Menschen Geschäfte mit uns machen.“
Unternehmenskommunikation verlagert sich von der Trutzburg ins Internet
In der Zeit bevor das Internet zum Massenmedium wurde, glichen Unternehmen Trutzburgen. Wann die Zugbrücke hochgezogen und welche Informationen über den Wassergraben ins Land hinaus durften, entschied der Pressechef, und meist waren es streng verfasste hoheitliche Unternehmenspressemitteilungen.
Von Zeit zu Zeit zeigte sich der CEO am Burgfenster, und die Medienöffentlichkeit sah ihm aus der Ferne zu, wie er während der Bilanzpressekonferenzen vorgefertigte Statements ablas. Man kann es bedauern, begrüßen oder (vergeblich) ignorieren: Diese Zeiten sind für immer vorbei – die Unternehmenskommunikation hat sich verändert.
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Schon heute hat die neue Transparenz weite Teile der Kommunikations- und Unternehmenswelt erobert. Mit dabei: Start Ups und kleine Firmen, die auf diese Weise erfolgreiche Kundenbindung und Pressearbeit betreiben, aber auch mehr und mehr Big Player. Sie lassen die Öffentlichkeit — ihre Kunden, die Medien — teilhaben an Plänen und Produktentwicklungen und kommunizieren öffentlich, in Blogs, Foren oder auf Konferenzen.
Selbst Microsoft — noch vor wenigen Jahren das Fort Knox der PR — informiert die Öffentlichkeit mittlerweile durch (unzensierte) interne Videos oder ermutigt Mitarbeiter aller Hierarchiestufen zum Bloggen über ihre jeweiligen Projekte. Konsequenz: Nicht nur die Kommunikation wandelt sich, auch die Art, wie Ideen, Botschaften und letztlich Produkte entstehen, verändert sich radikal. Indem der Entstehungsprozess ausgelagert wird — aus dem hermetisch abgeriegelten Meeting-Raum ins Web.
Das Ende der Geheimnisse in der Unternehmenskommunikation
Die Grundannahme aus der Kommunikationssteinzeit lautete: Informationen sind nur dann wertvoll, wenn sie mit möglichst wenigen anderen Menschen geteilt werden. Ihren vorläufigen Höhepunkt nahm diese Entwicklung in den 1990er Jahren, als immer mehr Unternehmen damit begannen, ihre Kunden(-Kontakte) ins Callcenter abzuschieben. Die Kontrolle über das Produkt und seine Entwicklung blieb hinter den hohen Mauern des Unternehmens verborgen — die Bindung an jene Klientel, mit der man doch eigentlich sein Geld verdient, wurde dagegen, komplett abgegeben.
Unternehmen wie Redfinance praktizieren nun das Gegenteil — und im Zentrum steht der direkte Dialog mit Tausenden Kunden und Konsumenten. Aber ist die Zeit für derlei offene und offensive Kommunikationspraxis wirklich schon reif? Die Wahrheit liegt vermutlich wie so häufig irgendwo in der Mitte. Konsumenten und Mitarbeiter sind Menschen — und der Mensch ist ein kommunikatives Wesen, das Gerüchte liebt und gerne redet. Warum also, fragen sich mehr und mehr Unternehmen und PR-Profis, den Spieß nicht umdrehen, alte Verhaltensweisen über Bord werfen und diesen Mechanismus aktiv für die eigene Kommunikation einsetzen? Indem man alle Beteiligten als Partner betrachtet und aktiv an der Informationsentstehung und -verbreitung beteiligt.
Ein weiterer wichtiger Punkt: Wir sehen gerade eine Generation heranwachsen, die Transparenz im weitesten Sinne zum Standard erklärt hat — siehe Youtube, MySpace & Co. Nicht Geheimniskrämerei, sondern Offenheit wird schon bald der Standard sein.
„Unternehmenskommunikation-Extreme“ von Zappos.com
Bei Unternehmen wie dem amerikanischen Internet-Händler Zappos.com hat die Offenheit einen Grad erreicht, den man fast schon gespenstisch nennen kann – die meisten PR- und Kommunikations-Chefs würden sich vermutlich eher den rechten Arm amputieren lassen, als Zappos nachzueifern.
Im firmeneigenen Wiki tauschen sich Firmenmitarbeiter offen über Probleme aus und machen Verbesserungsvorschläge. Wenn Kunden bei Zappos nicht die gewünschten Produkte finden, werden sie zur Konkurrenz geschickt. Die Zulieferer erhalten detaillierte Informationen über die verkauften Produkte und darüber, welchen Profit Zappos damit macht.
Ergebnis: Je besser Kunden, Mitarbeiter und Lieferanten über das Unternehmen Bescheid wissen, desto mehr mögen sie es. Und werden zu Partnern. Denn das Faszinierende ist: Sobald Menschen sich erst einmal für ein Unternehmen interessieren, sind sie auch bereit, diesem Unternehmen zu helfen.
Google als „Reputation-Management-System“
Kommunikation auf Augenhöhe und keine Angst vor Kritik lauten die Zauberworte. Indem Unternehmen beginnen, sich wie normale Menschen zu verhalten — etwa, indem sie Fehler eingestehen — sammeln sie Sympathien. Natürlich ist dies nicht das Ende aller Verschwiegenheit.
Was wäre Apple ohne den Starkult um seine Produkte und die damit verbundene Geheimhaltung geworden? Geheimnisse sind gut — Lügen sind schlecht. Kein PR-Profi sollte sich täuschen: Auch kleine Lügen in der Unternehmenskommunikation werden so schnell nicht verziehen und vergessen. Grund ist wiederum das Internet, das nichts vergisst und niemandem so schnell verzeiht.
Google ist längst zu einem „Reputation Management System“ geworden. Eine einfache Google-Suche enthüllt heute mehr über jedes Unternehmen als Dutzende von Firmenbroschüren, eine millionenschwere Werbekampagne und mehrere Messeauftritte zusammen. Der einzige Weg, damit umzugehen, ist es, Teil dieser Meinungsmaschine zu werden (die sich ohnehin nicht abstellen lässt) und die neue (Kommunikations-)Währung des Internet zu nutzen: Links und Google-Rankings, Online-Berichte und Querverweise.
In der „Reputations-Ökonomie“ zählt auch die Masse: Wenn es hundert positive Links gibt, zählen zwei oder drei negative nicht viel. Das ist die gute Nachricht: Wer die neuen Regeln der Transparenz und des Reputation Management kennt und beherrscht, der beeinflusst sein Image auf eine Weise, wie dies noch niemals vorher möglich war.
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