Das St. Galler Konzept 2020: Reinvent oder Optimize?
Unternehmensentwicklung

Das St. Galler Konzept 2020: Reinvent oder Optimize?

Dr. Christian Abegglen
Am

Komplexität, Vernetzung, Beschleunigung und Industrie 4.0 sind die Schlagworte von heute - aber wie packt man Unternehmensentwicklung richtig an? Geschrieben wurde darüber viel, was fehlt, ist eine Starthilfe, die am Ende ein performantes Ergebnis liefert.

Mit dem St. Galler Ansatz 2020 aus dem Buch „Unternehmen neu erfinden“ wird gezeigt, wie Unternehmensentwicklung, das heißt Wege, die zu neuen Zielen führen, erfolgreich angewendet werden können.

Die Fortschritte der Technologie überschlagen sich, die Digitalisierung macht uns frei von Raum und Zeit. Produkte werden virtueller zum Kunden geliefert oder gar beim oder vom Kunden produziert; Handel und Dienstleistungen werden immer globaler, Maschinen zu Mitarbeitenden. Herkömmliche Geschäfte werden obsolet, Unternehmen, als Treiber und gleichzeitig Getriebene, müssen sich neu erfinden. Glücklicherweise gibt es zumindest seit den 1960er Jahren hinreichend abgesichertes Wissen über die Steuerung von Unternehmen in komplexen Situationen.

Vorausschauend schuf Knut Bleicher, einer der bekanntesten Vertreter der St. Galler Managementlehre, vor über 25 Jahren auf den Grundlagen der Systemtheorie und dem von Hans Ulrich geschaffenen Fundament ein wirksames Gegenmittel. Er verstand es, Komplexes in modularen Einheiten zu vermitteln, in Portionen umzusetzen, wiederholt zu hinterfragen und zu verbessern, weg vom rein singulären Problemlösen, hin zur Gestaltung einer fortwährenden „Problem- und Lösungsfindungs-Maschinerie“. Bleicher beschrieb drei Management-Ebenen – die des Normativen, Strategischen und Operativen – und unterteilte diese in Themenfelder:

Die Themenfelder und das St. Galler Management HAUS. Quelle: St. Galler Business School (SGBS) / Buch „Unternehmen neu erfinden“

Er trainierte seine Schüler, je nach Situation, Denk- und Wissensphase, sich auf ein Themenfeld mit all seinen Vernetzungen zu konzentrieren und dabei gleichzeitig das Gesamte im Auge zu behalten, was bei seinem 700 Seiten starken Werk eine besondere Herausforderung an die Leser stellt.

Der Ansatz 2020 (oben rechts im Bild) gründet auf interaktivem, synthetisch-analytischem und prozess-beziehungsorientiertem Vorgehen aus drei Perspektiven: RAUM, ZEIT und MENSCH.

Letztendlich erfährt ein Unternehmen seine Sinngebung nur durch die von Menschen getragenen Aktivitäten und Interaktionen. Erst wenn Menschen mit Tatkraft, Strahlkraft, Genusskraft, Vorstellungskraft und Entscheidungskraft hinter allen Aktivitäten stehen, finden Organisationen zusammen. Nur dann wird aus einem Blockieren ein Optimieren und aus Stillstand entsteht Erneuerung und Neuanfang, was schließlich dazu motiviert, das Unternehmen immer wieder mit Herz und Verstand neu zu erfinden.

Unternehmensentwicklung ist ein permanenter Prozess

Das Kochen nach Rezepten oder das in fester Reihenfolge vorgegebene Ausfüllen von zig Checklisten garantiert im Ergebnis noch lange keine erfolgreiche Zukunftsstrategie. Käme ein solches Vorgehen nicht dem Autor gleich, der erst ein Wörterbuch von A bis Z liest, bevor er ein Buch schreibt?

Die Zukunft kennt keiner, aber man muss und kann sich auf sie vorbereiten. Das geht aber nicht in einem zwei- oder dreitägigen Seminar, wie es sich manche aus der HR-Riege vorstellen. Wie will denn ein Manager sein Unternehmen nach einem kurzen Seminarbesuch manövrieren, wenn er den optimalen Kurs nicht kennt? Schnell kommt als Antwort das Argument, man kenne ja das genaue Ziel nicht, da dies im Zukunftsnebel liege. Das Unbekannte ermuntert manche Unternehmen zum organisierten Stillstand: Weiter wie bisher, denn sicher ist sicher.

Jeder Mensch bedient sich solchen oder ähnlichen Vorurteilen und Standards, was im Unternehmen häufig zu übereilten, falschen Rückschlüssen, Wertungen und Entscheidungen führen kann. Mit einem iterativen Vorgehen mindern Sie die Gefahr, beim Lösen komplexer Problemstellungen wesentliche Aspekte zu übersehen und damit irrelevante oder nur isoliert wirkende Handlungsoptionen auszuarbeiten. Durch das Beleuchten eines (Teil-)Problems aus unterschiedlichen Perspektiven und über verschiedene Abstraktionsstufen hinweg, können Teams effizient Handlungsoptionen identifizieren und hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit verifizieren. Vielleicht entdeckt das Team dabei, dass das Problem ganz woanders liegt. Abwechselnd können sie sowohl die Gesamt-, Detail- und Topmanagement-Sicht als auch die Mitarbeiter-Sicht erfassen.

Machen Sie Ihre Ziele zu den Zielen aller Beteiligten und schaffen Sie damit Umsetzungskraft. Wichtig ist, dass Sie Ihre Aufmerksamkeit stets auf das Wesentliche lenken und nicht aufgrund einer vorschnellen Fokussierung auf Details den Gesamtzusammenhang aus den Augen verlieren. Keine Paralyse durch Analyse! Im Grunde stehen heute mit Blick auf ein agiles Arbeitsumfeld und der digitalen Transformation drei Entscheidungen an – sei es für das ganze Unternehmen oder für einen einzelnen Bereich:

  1. Business as usal:
    Weiter wie bisher mit eventuell minimalen Kurskorrekturen.
  2. Optimize: Ausloten von Optimierungsmöglichkeiten, Anpassungen der bestehenden rollierenden Masterpläne.
  3. Reinvent (Change): Arbeiten an einer umfassenden Neuausrichtung des Unternehmens – Unternehmen neu erfinden.

Je nach Entscheidung werden Sie in den nächsten Runden:

  • umfassendere Detail-Analysen durchführen,
  • das IST und SOLL konfigurieren,
  • Maßnahmen nach INNEN und AUSSEN starten,
  • die bestehenden Masterpläne anpassen oder einen neuen Masterplan erstellen,
  • aktiv mit der Umsetzung und dem operativen Doing starten,
  • den Kurs immer wieder durch geschicktes Manövrieren so korrigieren und optimieren, dass Sie am Ziel angekommen, den nächsten Initialfunken auslösen können (Permanente Erneuerung zum Normalzustand werden lassen).

Dafür ist ein Operations Room einzurichten, um rasche Rückkopplungen (Kommunikation) sicherzustellen. Häufige Frage in in Seminaren: Wie komme ich zum Ziel? Ganz einfach: Probleme sind bekanntlich nichts anderes als Differenzen zu unseren Erwartungen, Wünschen und Vorstellungen. Wovon hängen wohl die Entscheidungen für oder gegen eine Option ab? Wohl von Stärken und Schwächen. Das heißt nicht von Anbeginn alles analysieren, sondern erst, wenn tatsächlich Bedarf besteht!

Das neue St. Galler Management-Konzept bietet Unternehmern und Führungskräften die Verknüpfung theoretisch-wissenschaftlicher Grundlagen mit praktischer Unternehmensführung und fördert eine integrierende Betrachtung des Unternehmensgeschehens. Es verknüpft zugleich Strukturen und Aktivitäten mit Verhalten in Bezug auf Markt-, Produkt-, Finanz- und – last but not least – Human-Resources-Aspekten. Im Zentrum steht dabei nicht das Bekämpfen bloßer Symptome und damit eine Ausrichtung auf das Sichtbare (die Spitze des Eisbergs), sondern dem Management soll deutlich gemacht werden, wo die tatsächlichen Aufgabenstellungen liegen, die es anzupacken gilt.

Nicht offenkundige Resultate von Störungen sind zu bekämpfen, sondern es sind Maßnahmen zu ergreifen, die dem Erhalt der langfristigen Lebensfähigkeit dienen. Hier setzt das St. Galler Konzept an: Im Rahmen einer permanenten Betrachtung von In- und Umwelt (bzw. Umfeld) wird versucht, das Unternehmen auf Erfolgskurs zu halten, so dass man letztlich nicht gezwungen wird, später auftretende negative Symptome mit zweifelhaften Mitteln bekämpfen zu müssen. Je deutlicher die Krisensymptome, desto schwieriger die Therapie.

Im Mittelpunkt des St. Galler Konzepts stehen die zu erzielenden Resultate und nicht kurzfristige, am Shareholder-Value-Ansatz orientierte Ergebnisse. Vielmehr wird das Ziel einer langfristigen Lebensfähigkeit eines Unternehmens angestrebt. Um zu einer raschen Lagebeurteilung zu kommen, ordnet das Konzept die zahlreich zu stellenden Fragen vier Themenfeldern zu – jeweils aus Sicht von Outside-in versus Inside-out: Markt, Produkt/Technologie, Human Resources und Finanzen. Innerhalb dieser Struktur, die auf jedes Unternehmen übertragbar ist, wird wiederum eine Untergliederung erfolgen.

Das Netzwerk der Integrierte Unternehmensentwicklung. Quelle: St. Galler Business School (SGBS) / Buch „Unternehmen neu erfinden“

Es gilt zunächst aus einzelnen Puzzlesteinen rasch ein Bild der aktuellen Lage zu entwickeln: Was wird gespielt? Dies natürlich vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Stoßrichtungen, der Organisation und dem Führungsverständnis auf dem Weg zum aktuellen Ziel, dem Sprung in die Zukunft. Zielkorrekturen, nötige Kursänderungen, Bedrohungen und Chancen werden so rasch deutlich.

Sind Ziele und Stoßrichtungen zum Erreichen gesetzt, steht schon die erste Nagelprobe im Raum. Welche Maßnahmen nach innen und außen sind nun aufzugleisen? Ein Masterplan ist gefragt, aber kein in Stein gemeißelter Plan, sondern eine rollierende Planung, die laufend der veränderten Situation Rechnung tragen muss. Im Masterplan sind nun, in der Regel auf Produkt- und Marktebene, genaue Aussagen bezüglich Preis/Leistung beziehungsweise Bedürfnisintensität und Vermarktungsstärke zu treffen. Im Rahmen eines Portfolios hat eine weitere Konkretisierung der nötigen Erfolgsfaktoren und der Produkt-/Leistungspipeline zu erfolgen. Ebenso sind die gewonnenen Erkenntnisse in den Feldern Human Resources und Finanzen darzulegen: Welches sind die Mitarbeitenden der Zukunft? Wie entwickelt sich der Cashflow? Die Ergebnisse sind mit einem rollierenden Masterplan zu untermauern.

Parallel sind nun auch die übrigen Elemente der Unternehmung unter die Lupe zu nehmen. Dies geschieht zum einen hinsichtlich der Strukturen: Passen Verfassung und Prozesse zu den neuen unternehmenspolitischen Zielen und Stoßrichtungen? Lassen die sich daraus ergebenden Aufgaben (Masterplan) dadurch tatsächlich bewältigen? Zum anderen hinsichtlich des Verhaltens: Wird sich die Unternehmenskultur verändern? Braucht es eine neue Art der Führung? Wichtig: Dieser Prozess hört niemals auf, das heißt, sobald Sie ihn durchlaufen haben, muss wieder von vorne begonnen werden. Damit ist das Konzept ein Trainingsgerät, quasi ein Erfahrungsgenerator. Als Praktiker werden Sie natürlich nicht immer den ganzen Kreislauf durchlaufen, sondern Sie werden durch Erfahrung einzelne Schwachpunkte erkennen und dort einzusteigen lernen.

Die Vorteile des St. Galler Konzepts :

  • Sie profitieren von der Weiterentwicklung anerkannter, interdisziplinärer Wissenschaftsbereiche wie der Kybernetik und des Systemansatzes.
  • Das Konzept ist universell anwendbar und zwar auf Unternehmen jeder Größenordnung und jeder Branche.
  • Die Betrachtungsweise bezieht bewusst auch nicht messbare, nicht quantifizierbare und nicht mathematisch formulierbare Phänomene in das Denkmodell mit ein.
  • Die Berücksichtigung der sozialen Dimension (Menschen und unser Lebensraum) des Unternehmensgeschehens ist eine wesentliche Bereicherung der bisherigen betriebswirtschaftlichen Unternehmensbetrachtung und damit ein umfassendes Abbild der Realität.

Buchtipp: „Unternehmen neu erfinden. Das Denk- und Arbeitsbuch gegen organisierten Stillstand“. Frankfurter Allgemeine Buch, www.fazbuch.de, 204 Seiten, 29,00 €, ISBN: 978-3-96251-005-3. Autor: Christian Abegglen.

Foto/Thumbnail: ©icienpies/Depositphotos.com

Über den Autor

Dr. Christian Abegglen

Dr. Christian Abegglen Dr. Christian Abegglen befasst sich als Wissenschaftler und Praktiker seit über 25 Jahren mit Fragen effektiver Unternehmensführung und greift dabei bewusst auch auf altbewährte Methoden für Kopf- und Bauchentscheider zurück. Durch iterative Prozesse gewinnen Manager Selbstüberzeugung und Vermittlungskompetenz, was zu einem von allen Beteiligten akzeptierten Ergebnis führt. Abegglens Referenzliste umfasst daher mehr als 150 Großunternehmen und Nischenplayer. Bewegung statt Stillstand: Als Mitbegründer und Präsident der St. Galler Business School (SGBS) ist er Botschafter des Management-Konzepts nach Knut Bleicher.
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