Leistungsbezogene Preisstrategie
„Was nichts kostet, ist auch nichts wert“ - diese alte Kaufmannsweisheit wird immer wieder genannt, wenn das junge Team des Internet- Start-ups XY sich zusammensetzt und darüber nachdenkt, wie nun endlich ihr bisher kostenloses Angebot der Kreditvermittlung im Internet angemessen zu bepreisen ist.
Beim Finden der richtigen Preisstrategie bilden sich stets zwei Lager: Die erste Gruppe der Inhaber plädiert zwar auch dafür, so schnell wie möglich für diese Leistung eine Gebühr zu nehmen, ist aber nicht bereit, diese an den Wert zu koppeln, den die erbrachte Leistung für den Kunden hat. Ihre Argumente sind valide: Der Aufwand für individuelle Preisgestaltung ist hoch. Außerdem befürchten sie, dass die Kunden nicht bereit sein könnten, mehr als eine von vornherein bekannte Gebühr zu bezahlen. Diese Gruppe ist damit Verfechter eines festen Betrages (die Rede ist von ca. 300 Euro), der unabhängig von der Leistung beziehungsweise dem Ergebnis nur den Aufwand mit einem standardisierten Aufschlag bezahlt.
Das andere Lager geht davon aus, dass der Kunde bereit sein wird, seine Bezahlung an dem Wert der Leistung zu orientieren. Wenn der vermittelte Kredit aufgrund günstigerer Zinsen und Bedingungen über die vereinbarte Laufzeit beispielsweise 10 000 Euro weniger als das marktübliche Angebot kostet, sind nach ihrer Auffassung die Kunden bereit, statt einer Gebühr von 300 Euro durchaus 10 Prozent der durch die Vermittlung ermöglichten Ersparnis zu zahlen.
Nachdem sich beide Gruppen irgendwann geeinigt und die 10-Prozent- Lösung zur Basis der Preisgestaltung gemacht haben, ist der Weg zu den ersten schwarzen Zahlen nicht mehr weit. Schon im ersten Jahr nach der Entscheidung für die leistungsorientierte Preisstrategie wird Gewinn gemacht. Darüber hinaus ist die Marketingwirkung dieser – von den Kunden als sehr fair empfundenen – Preisgestaltung nicht gering einzuschätzen.
Es scheint sich im Markt herumgesprochen zu haben, dass die Mitarbeiter des Unternehmens sehr daran interessiert sind, zu besonders günstigen Bedingungen zu vermitteln. Die fälligen 10 Prozent gehören dazu und werden gern bezahlt. So ist eine echte Win-Win-Situation entstanden.
Auch unter den Unternehmen, die sich selbst als innovativ bezeichnen, gestalten nur wenige ihre Preise anders als herkömmlich. Hersteller, die seit Jahren am Markt sind, schlagen in aller Regel auf ihre Kosten einen Prozentsatz auf, der die Marge bestimmt. Gibt der Markt weniger her, dann müssen diese Unternehmen die Marge zurückhaltender gestalten. Ist im Markt mehr möglich, steigt der Kostenaufschlag tendenziell an. Dabei lässt sich das Management eher von den eigenen Bedürfnissen leiten, die vom Controlling und nicht vom Marketing bestimmt werden, als von denen der Kunden, die eigentlich im Vordergrund stehen sollten.
Wertversprechen bei der Preisgestaltung erfüllen
Die Kundenbedürfnisse liegen nicht nur in einem möglichst niedrigen Preis, sondern sie beziehen sich auf ein möglichst auf den Kunden zugeschnittenes Wertversprechen, das im Extremfall sogar sehr hohe Preise rechtfertigen kann. Bekannt ist diese Art der Preisgestaltung von den Preis-Premiums wiederum der Konsumgüteranbieter, die zum Beispiel dann gezahlt werden, wenn ein neues Convenience-Produkt auf den Markt kommt.
Bevor andere es kopieren können, gibt der Markt in der Regel den höheren Preis ohne weiteres her. Aber eine Markteinführung ist nicht die einzige Möglichkeit, Preise heraufzusetzen. Auch eine Veränderung der Situation oder der Bedarfslage kann einen höheren Preis rechtfertigen. Kunden sind hier durchaus flexibel. Denn wenn es regnet, feilscht niemand um den Preis des Regenschirms. Würden die Unternehmen, die nach der Cost-plus-Methode ihre Preise festsetzen, ihre Kunden in jeder Beziehung besser kennen, dann wüssten sie auch, welche Preise für welchen Produktwert ein Kunde zu zahlen bereit ist. In Kenntnis dieser Fakten könnten sie ihre Preisstrategie viel enger am „perceived value“ für den Kunden ausrichten.
Auch hier können traditionelle Anbieter viel lernen von neuen Playern in neuen Märkten, also von den Unternehmen, die vor zehn oder weniger Jahren noch gar nicht am Markt vertreten waren und deshalb nicht den „Ballast“ traditioneller Prozesse und Denkweisen mit sich tragen.
Die Telekommunikationsanbieter bieten zum Beispiel interessante Anhaltspunkte für all jene Unternehmen, die mit alten Preisfindungsgepflogenheiten brechen möchten. Sie verstehen es, sogar größtenteils sehr erfolgreich, dem Kunden „perceived value“ zu bestimmten, auf sein Telefonierverhalten eingestellten Tarifen zu verkaufen. Dabei gelingt es ihnen, die Produkte nicht vollkommen klar zu umreißen, sodass die Preiswürdigkeit der einzelnen Tarife nur schwer vergleichbar ist. Auf diese Weise können sie bessere Margen erzielen als traditionelle Anbieter.
Auch ganz persönliche Bedürfnisse, die zentrale Bedeutung im Leben des Kunden haben, können Einfluss auf die Preisfindung für ein Produkt haben. Ein gutes Beispiel für ein solches Produkt, dessen Notwendigkeit für den Kunden nahezu jeden Preis rechtfertigt, ist Viagra, die Lifestyle-Droge für den älteren Mann.
Der Preis ist also eine Größe, die eng an das Wertversprechen gekoppelt sein kann und auch sein muss. Unternehmen, die ihre Kunden kennen, sollten sich darauf konzentrieren, zunächst das Wertversprechen der Realität auf der Kunden- wie auf der Anbieterseite anzupassen. Dann haben sie die Möglichkeit, den Preis aufgrund des vom Kunden empfundenen Wertes entsprechend zu gestalten. Allerdings werden die Kunden hier eine Schmerzgrenze haben, und diese herauszufinden erfordert eine sehr tiefe Kenntnis der Kunden, ihrer Wünsche und Vorlieben.
Preisanpassungen
Preisanpassungen sind ein umso größeres Problem, je bekannter und vertrauter ein Produkt für den Kunden ist. Der Lebensmittelhandel wird in lebhafter Erinnerung haben, wie es bei den Kunden ankam, als Mitte der 1990er-Jahre aufgrund neuer EU-Bestimmungen plötzlich der bis dahin sehr mäßige Preis für Bananen auf ein höheres Niveau gesetzt wurde. Die Verbraucherseele in Deutschland kochte und Boykotte und Protestaktionen blieben nicht aus. Nach mehreren Monaten normalisierte sich allerdings auch diese Protestbewegung, und die Hausfrauen begannen wieder, regelmäßig und in gewohnter Menge das Grundnahrungsmittel Bananen einzukaufen.
Reibungsloser verlaufen Preisanpassungen nach oben, wenn es keine Vergleichswerte gibt. Wenn die Kunden eines Energieunternehmens einen Kombitarif für die Abnahme von Strom und Gas buchen können, werden sie wenig Möglichkeit zum Preisvergleich haben, denn bisher bezogen sie beide Leistungen separat und zu unterschiedlichen Tarifen.
Werden aber beide Leistungen im Paket angeboten, verschwimmen die Grenzen, und niemand hat eine Chance, die Möglichkeit zum Vergleich wiederherzustellen. Für einen gewissen Zeitraum ist hier also eine Art Preis-Premium möglich. Wenn die Tarifstruktur überschaubarer wird, drückt das auf den Preis.
Obwohl Kunden mit Sicherheit „Cost-plus“-Preismodelle vorziehen würden, wenn sie Einflussmöglichkeiten auf die Preisgestaltung hätten, ist Cost-plus eher selten geworden. Immer mehr Unternehmen finden Möglichkeiten, die Preise so zu gestalten, dass sie selbst profitieren, aber auch der Kunde aufgrund der starken Kundenorientierung des Unternehmens starke Anreize bekommt, die ihn dazu bewegen, gerade dieses Produkt oder mehr von diesem Produkt oder dieser Leistung zu erwerben, ganz gleich wie teuer es ist. So gelingt es Textilfirmen, die bei Jugendlichen hoch im Kurs stehen, zum Beispiel Polo von Ralph Lauren, für einfache T-Shirts oder Pullover Preise zu erlösen, die ein Mehrfaches über denen von Benetton liegen, nur weil das Polo-Emblem eingestickt ist. Das Wertversprechen ist ganz einfach, aber wirksam. Der junge Kunde meint, für einen Snob gehalten zu werden, und ist dafür bereit, sein Taschengeld anzusparen.
Kundennutzen rechtfertig hohe Preise. Das wird immer wieder dann erkennbar, wenn ein völlig neuartiges Produkt – vor allem im Konsumgüterbereich – auf den Markt kommt, das aus Kundensicht mit einem „Mondpreis“ versehen ist, aus Anbietersicht aber ein Preispremium ermöglicht. Der aufgeschlossene oder auch neugierige Verbraucher, der aufgrund seiner Situation auf ein oder mehrere interessante Merkmale des Produktes angewiesen ist, wird trotzdem kaufen – so lange, bis der Wettbewerb mit einem gleichen Produkt nachzieht. Von da an ist ein Preiskampf in Gang, der immer einen Preisverfall nach sich zieht.
Billig und gut
Ein Preisverfall muss längst nicht immer heißen, dass die Unternehmen, die gemeinsam den Preis gedrückt haben, nun keine Wachstumsmöglichkeiten mehr haben. Dies beweist der Hamburger Brillenanbieter Fielmann in Deutschland seit Jahren. Aus dem Nichts katapultierte sich Fielmann mit ausnehmend preiswerten Brillen, die ganz und gar nicht an das verpönte Kassengestell erinnern, ganz nach vorn im deutschen Brillengeschäft. Die gute Botschaft von den günstigen Preisen wurde mithilfe massiver Werbekampagnen nachhaltig im Markt platziert und augenscheinlich von den Kunden auch verstanden.
Mit der aggressiven, kundenfreundlichen Preisgestaltung geht Fielmann einen entgegengesetzten Weg wie Unternehmen, die ihre aufgrund eines kundenorientierten Wertversprechens höher angesetzten Preise durchzusetzen versuchen, um auf diese Weise Zusatzwachstum zu erzielen.
Aber der Name Fielmann wird inzwischen so stark mit einem Preisversprechen verbunden, dass es schwierig sein dürfte, diese Strategie zu überarbeiten – was offensichtlich auch dem Unternehmensgründer sehr fern liegt. Er bietet dem Kunden ein solides Geschäftsmodell und umwirbt ihn mit hervorragenden Werbebotschaften, die haften bleiben.
Fielmann ist und bleibt also der solide Macher im Brillenmarkt und wird sich diese Position auch – solange Kurz- oder Weitsichtigkeit nicht einfach kuriert werden können – mit Leichtigkeit erhalten können.
Was kann man nun aus diesem Beispiel ableiten?
Rechnet sich nun ein undurchsichtiges Preismodell, weil der Kunde nicht wirklich versteht, was er kauft und was er letztendlich dafür bezahlt, oder ist der „ehrliche“ Billiganbieter auf Dauer der erfolgreichste. Mit Sicherheit lässt sich diese Frage nur branchenbezogen beantworten. Im Handel hat sich in den vergangenen Jahren erwiesen, dass „Gutes billig“ in vielen Verbraucherschichten gerade in Deutschland, wo das Preis-Leistungs-Verhältnis groß geschrieben wird, ein erfolgreiches Konzept sein kann. Gleichzeitig werden aber auch zum Beispiel massenweise Mobilfunktarife genutzt, die nicht unbedingt als günstig für den individuellen Bedarf des jeweiligen Kunden zu bezeichnen sind. Aber auch sie haben den Anbietern jahrelang Wachstumszuwachs gebracht, und zwar nicht trotz, sondern wegen dieser Tarife: Weil das Wertversprechen gestimmt hat.
Elemente Leistungsbezogener Preisgestaltung
- Erkennen des Wertes eines Produktes für den Kunden beziehungsweise für bestimmte Kundengruppen
- Ausschöpfen aller Möglichkeiten des Produktes für den Kunden über den primären Einsatz hinaus
- Kombinieren des Produktes mit anderen eigenen oder fremden Produkten zu einer „Paketlösung“
- Gestalten des Preises entsprechend dem Wert („perceived value“) des Angebotes für den Kunden.
Quelle: Dietrich Neumann – Fünf Wege zum organischen Wachstum, ISBN: 3593373394
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