
Warum das klassische Bewerbungsanschreiben an Relevanz verliert
Lange galt das klassische Anschreiben als fester Bestandteil jeder Bewerbung. In Stellenanzeigen tauchte es als obligatorische Anforderung auf, HR-Abteilungen verlangten es routinemäßig und auch Bewerbende lieferten es bereitwillig mit. Heute stellt sich jedoch zunehmend die Frage: Erfüllt das traditionelle Anschreiben tatsächlich noch seinen Zweck? Oder dient es nur als formales Relikt, das kaum noch Einfluss auf Personalentscheidungen nimmt?
Statt eines differenzierten Eindrucks entstehen häufig standardisierte Dokumente mit austauschbaren Formulierungen. Sätze wie „Ich bin belastbar“ oder „Ich suche eine neue Herausforderung“ häufen sich. Solche Aussagen ermöglichen keine präzise Einschätzung über Motivation, Denkweise oder Fähigkeiten. Ein Problem, das sich mit zunehmendem Bewerbungsvolumen verschärft. In Zeiten, in denen Schnelligkeit, Effizienz und Qualität den Ausschlag geben, geraten HR-Abteilungen unter Druck. Floskelhafte Anschreiben führen dann zu zusätzlichem Aufwand, statt echte Orientierung zu schaffen.
Vom handschriftlichen Statement zum digitalen Anachronismus
Historisch diente das Anschreiben als erster Kontaktpunkt zwischen Bewerbenden und Unternehmen. Die handschriftliche Bewerbung transportierte neben der Qualifikation auch Haltung, Sorgfalt und Ausdrucksfähigkeit. In der analogen Welt bot das Dokument durchaus Mehrwert – als Differenzierungsmerkmal, als Ausdruck von Persönlichkeit, als Kommunikationsmittel. Mit der Digitalisierung und der Verlagerung vieler Bewerbungsschritte auf digitale Plattformen verloren einige dieser Funktionen jedoch an Relevanz. Gleichzeitig steigen die Erwartungen an Geschwindigkeit, Passgenauigkeit und messbare Aussagekraft – Kriterien, denen das Anschreiben nur bedingt gerecht wird.
Mehr Austauschbarkeit durch Muster und KI
Ein gutes Anschreiben enthält neue Informationen, ergänzt den Lebenslauf sinnvoll und macht Motivation und Passung greifbar. Doch genau das gelingt in der Realität selten. Bewerbende setzen auf Sichtbarkeit und orientieren sich an Mustern. Der Preis dafür ist häufig Austauschbarkeit. Verschärft wird dieses Problem zudem durch die zunehmende Nutzung von KI-Tools wie ChatGPT. So nutzen viele diese Hilfsmittel zur Textgenerierung – und übernehmen die Vorschläge oftmals ohne Anpassung.
Die Folge: Generische, wenig persönliche Anschreiben, die weder Individualität noch echte Motivation transportieren. Dabei liegt der Fehler nicht in der Nutzung solcher Technologien, sondern in der fehlenden Reflexion. Standardisierte KI-Outputs können zwar sprachlich überzeugen, liefern jedoch selten substanziellen Einblick in Denkweisen oder wirklichen Mehrwert.
Klarheit statt Konvention
Individuelle Passung und Motivation erweisen sich als entscheidend für langfristigen beruflichen Erfolg. Gleichzeitig werden diese in klassischen Bewerbungsdokumenten immer häufiger unzureichend sichtbar. Der Fokus verlagert sich zunehmend auf die Frage: Wie lassen sich die Stärken, das Potenzial und die Motivation von Kandidaten präziser und relevanter darstellen? Eine mögliche Antwort auf die Frage bietet ein innovativer Ansatz: Der Businessplan in eigener Sache. Statt allgemeiner Einleitung oder formelhafter Begrüßungssätze steht hier eine zentrale Frage im Fokus.
Welchen konkreten Mehrwert liefert die bewerbende Person für das Unternehmen? Dieses Format lädt dazu ein, über den Lebenslauf hinauszudenken. Bewerbende erhalten die Chance, ihre Perspektiven, Denkweisen und Vorschläge gezielt darzulegen. Welche Herausforderungen der angestrebten Position lassen sich lösen? Welche Erfahrungen liefern Argumente für den eigenen Impact? Wo entstehen konkrete Vorteile für das Unternehmen?
Weniger Form, mehr Wirkung
Ein solcher Plan betont Inhalte statt Form. Er fördert Reflexion, Klarheit und eine proaktive Auseinandersetzung mit dem Jobprofil. Gleichzeitig ermöglicht er den Empfängern, das heißt HR, Führungskräften oder dem entsprechenden Fachbereich, eine tiefere, substanziellere Bewertung. Personalauswahl gewinnt an Qualität, wenn Entscheidungsträger Zugang zu echten Indikatoren für Arbeitsleistung und kulturelle Passung erhalten. Genau hier setzt ein Businessplan an.
Grober Aufbau eines möglichen Businessplans
- Kurze, prägnante Darstellung der aktuellen Situation des Unternehmens, der Branche oder Abteilung (aus Bewerbersicht).
- Welche Kompetenzen, Erfahrungen, Perspektiven und Haltungen bringe ich mit? Nicht als Selbstbeschreibung („Ich bin teamfähig“), sondern als Nutzenargumentation.
- Skizzierung konkreter Ideen, Impulse oder Denkansätze, die zur Weiterentwicklung bestehender Prozesse, Produkte oder Strukturen beitragen können.
- Definition eines mittel- bis langfristigen Beitrags zur Rolle, einschließlich Vision, Zielsetzung und Wirkung im Team- und Unternehmenserfolg.
- Kein klassischer „Schlusssatz“, sondern ein aktives Angebot zur Zusammenarbeit.
Für Unternehmern liegt der Nutzen dabei auf der Hand, denn eine aussagekräftige Darstellung der Motivation ersetzt hier formale Selbstbeschreibung. Damit steigt die Vergleichbarkeit und die Entscheidungssicherheit nimmt zu. Bewerbungen gewinnen an Relevanz, weil sie nicht nur Informationen wiederholen, die sich bereits im Lebenslauf befinden, sondern neue Perspektiven eröffnen. Aber auch für Bewerbende ergibt es sich ein klarer Mehrwert. Sie verlassen die Rolle des Bittstellers und agieren stattdessen als strategischer Partner. Wer klar und konkret beschreiben kann, welchen Beitrag er oder sie leisten möchte beziehungsweise im vergangenen Job geleistet hat, sendet ein starkes Signal – über Motivation, Kompetenz und unternehmerisches Denken.
Wie Unternehmen neue Bewerbungsformate denken
Einige Unternehmen haben bereits damit begonnen, das klassische Anschreiben abzuschaffen oder es optional zu gestalten. Andere setzen auf Videoformate, projektbasierte Bewerbungen oder motivationale Essays mit spezifischem Fokus. Besonders in kreativen Branchen oder bei Start-ups rücken Inhalte, Ideen und Persönlichkeit zunehmend in den Vordergrund. Selbst manche Konzerne experimentieren mit neuen Bewerbungswegen, bei denen das klassische Anschreiben eine weniger zentrale Rolle spielt.
Für Personalverantwortliche entsteht durch die Entwicklung eine doppelte Chance: Zum einen lässt sich der Auswahlprozess effizienter gestalten. Zum anderen eröffnen sich neue Zugänge zu Talenten, die im bisherigen System möglicherweise untergegangen wären. Dabei bedeutet ein Verzicht auf das klassische Anschreiben keinen Verlust an Information, vielmehr entsteht Raum für relevante Inhalte. Gleichzeitig verlangt dieser Wandel nach klaren Leitplanen. Unternehmen sollten deutlich kommunizieren, welche Informationen sie stattdessen erwarten. Fragen wie „Welche Herausforderungen würden Sie in der Position zuerst angehen?“ oder „Was unterscheidet Sie von anderen Kandidaten?“ können hier entsprechende Impulse geben.
Mut zum Umdenken zahlt sich aus
Das klassische Anschreiben befindet sich auf jeden Fall in einem tiefgreifenden Wandel. Statt es aus Gewohnheit beizubehalten, lohnt sich ein kritischer Blick auf seinen tatsächlichen Nutzen. Immer mehr spricht dafür, neue Formate zu nutzen, die Substanz, Motivation und Passung besser sichtbar machen. So stellt der Businessplan in eigener Sache auf jeden Fall eine vielversprechende Alternative dar – sowohl für Bewerbende als auch für Unternehmen, die Talente gezielter und authentischer gewinnen wollen.#
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