Interim Manager Hartwig Görtler

„Führen heißt anleiten, motivieren, vermitteln“

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Hartwig Görtler ist Executive Interim Manager. Im Interview mit Onpulson macht der Experte für Transformation, Neuausrichtung oder Restrukturierung bei mittelständischen Unternehmen, deutlich, dass es in Zeiten der unumgänglichen Digitalisierung an echter Führung fehle. Wahre Führungspersönlichkeiten müssten den absoluten Willen zur Umsetzung haben, sonst scheitere die digitale Transformation.

Hartwig Görtler, Executive Interim Manager, kennt sich mit der digitalen Transformation sehr gut aus und sieht hierbei Handlungsbedarf bei den Führungskräften. Bildnachweis: Hartwig Görtler

Onpulson: Herr Görtler, Sie sind Executive Interim Manager und betreiben die Webseite campsis-consulting.de. Viele Unternehmen sprechen von Transformation – aber wer steuert sie eigentlich und was sind hierbei Ihre Erfahrungen?

Hartwig Görtler: Was ich aktuell in meiner Arbeit beobachte, ist, dass es dem Wandel oft an echter Führung mangelt. Transformation und Digitalisierung sind zu bloßen Schlagworten verkommen, oft nur noch ein Feigenblatt oder eine Ausrede. Echte Transformation, in welcher Form auch immer, erfordert zunächst die Erkenntnis, dass sie keine Option ist, die man wählen kann. Man muss transformieren und digitalisieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Folglich bedarf es des absoluten Willens zur Umsetzung. Daran mangelt es in Wirtschaft und Gesellschaft. Man ist satt, gesättigt und in dem gelernten Glauben, dass Politik und Staat es richten müssen. Was dabei herausgekommen, sind Schönwetterkapitäne, die mit Hochglanzpräsentationen zum Cocktail einladen. Was fehlt, sind die rauen Seebären, denen man Schiff und Besatzung anvertraut, wenn die See rau wird. Es ist die klare, unmissverständliche Führung, die in diesen turbulenten Zeiten vonnöten ist. Ohne diese fehlt der Kompass, die Ausrichtung, die jedes Unternehmen braucht, um nicht im Sturm zu kentern.

Onpulson: Zwischen Digitalisierung, grüner Regulierung und Fachkräftemangel – wo verlieren Unternehmen derzeit am meisten Orientierung? Gibt es bestimmte Branchen oder Unternehmensgrößen, die besonders betroffen sind?

Hartwig Görtler: Dieses Phänomen ist unabhängig von Branchen oder Unternehmensgrößen. Wenn ich sehe, wie viele Unternehmen ein Budget mit einer Strategie verwechseln, beginnt das Problem schon sehr früh. Uns muss bewusst sein, dass die Zeiten, in denen man einfach verkauft hat, vorbei sind. Man meinte, es reiche aus, das Unternehmen mit Zahlenkolonnen und Rechenschiebern führen zu können. Heute zeigt sich: Das war ein Irrtum.

Man hätte in diesen guten Zeiten für die schlechten rüsten sollen. Heute ist eine schriftliche Strategie ein Muss. Sie ist vielschichtig – eine Geschäftsstrategie, aufgefächert in die Hauptbereiche des Unternehmens: Entwicklung, Produktion/Logistik, Vertrieb/Marketing und, ganz wichtig, den Bereich IT/KI. Hier wird das berühmte Wer-Was-Wann-Warum geregelt. Übrigens: Nicht das Wie, das wäre Taktik. Die Orientierung geht verloren, weil die Grundlagen fehlen, die klare strategische Ausrichtung, die über bloße Zahlen hinausgeht und eine echte Roadmap für die Zukunft bietet.

Onpulson: Statt klarer Strategie sehen wir oft hektischen Aktionismus oder lähmenden Stillstand. Wie kann Führung in solchen Situationen wieder für Klarheit und Zielorientierung sorgen?

Hartwig Görtler: Führungskräfte versuchen, das Fehlen einer Strategie mit Aktionismus zu kaschieren oder aufkommende Probleme zu improvisieren. Das ist der Unterschied zwischen einem Flicken- und einem feinen Perserteppich. Der eine ist schnell hingeschludert, der andere mit Planung, Weitsicht und Liebe erstellt. Echte Führung sorgt für Klarheit und Zielorientierung, ansonsten hat ein Unternehmen keine Richtung, keinen Nordstern, an dem es sich orientieren kann.

Aber die Strategie allein nützt nichts. Hier greift die wesentliche Eigenschaft echter Führungspersönlichkeiten: Der Wille zur Umsetzung. Umsetzung auch dann, wenn man auf Widerstände oder Animositäten stößt. Eine echte Führungspersönlichkeit zeichnet sich durch Entschlossenheit aus, durch die Fähigkeit, auch unter Druck standhaft zu bleiben und die gesteckten Ziele konsequent zu verfolgen. Es ist die unbedingte Bereitschaft, den Weg zu ebnen, Hindernisse zu beseitigen und das Team durch alle Widrigkeiten hindurch zum Erfolg zu führen.

Onpulson: Vertrauen gilt als zentrale Ressource in unsicheren Zeiten. Wie gelingt es Führungskräften, trotz Umbrüchen Stabilität und Vertrauen im Team aufzubauen?

Hartwig Görtler: Kurz und knapp – Klarheit schafft Vertrauen. Oder nach Nietzsche: Wer das Warum kennt, wird nicht am Wie scheitern. Blöd nur, wenn man vor der Klarheit Angst hat, weil sie nicht jedem gefällt. Womit wir wieder bei unserer Ursprungsfrage sind: Was braucht eine Führungspersönlichkeit? Unserer weichgespülten Gesellschaft zum Trotz braucht es wieder mehr rauhbeinige Seebären. Vertrauen wird durch Transparenz aufgebaut. Wenn die Führungskraft offen kommuniziert, die Gründe für Entscheidungen darlegt und auch unbequeme Wahrheiten ausspricht, entsteht eine Basis des Vertrauens. Es geht darum, eine klare Linie vorzugeben und diese auch konsequent zu verfolgen, selbst wenn es Widerstand gibt.

Onpulson: Transformation bedeutet auch Komplexität aushalten. Welche Kompetenzen müssen Führungskräfte heute entwickeln, um handlungsfähig zu bleiben?

Hartwig Görtler: Die Kunst ist, in der Komplexität scheibchenweise beziehungsweise segmentweise zu denken. Keiner, wirklich niemand, kann die heutigen Komplexitäten einfach mal so durchdringen. Sie sind zu interdependent, ein riesiges Wollknäuel. Ergo: Stück für Stück. Zusammen mit den Experten für das jeweilige Fachgebiet, denn das ist ein weiterer Irrtum: Führen heißt weder Machen noch Wissen. Führen heißt anleiten, motivieren, vermitteln.

Die Fähigkeit, Komplexität zu zerlegen, in kleinere, handhabbare Einheiten zu unterteilen und dabei die Expertise der Spezialisten zu nutzen, ist entscheidend. Es geht nicht darum, alles selbst zu wissen, sondern darum, die richtigen Fragen zu stellen, die richtigen Leute einzubeziehen und die Fäden für eine kohärente Strategie zu entwickeln, die nicht nur auf Hochglanzpräsentationen gut aussieht, sondern auch in der Realität Bestand hat. Es geht darum, nicht nur zu reagieren, sondern proaktiv zu gestalten, mit einer klaren Vision und einem detaillierten Plan, der Schritt für Schritt umgesetzt wird.

Onpulson: Abschließend gefragt: Was raten Sie mittelständischen Unternehmen konkret, die ihre Transformation nicht nur anstoßen, sondern auch erfolgreich umsetzen wollen?

Hartwig Görtler: Als Erstes und Wichtigstes rate ich dazu, sich dieser Herausforderung zu stellen und sie ernsthaft anzugehen. Jetzt, nicht morgen. Dann ist es kein Zeichen von Schwäche, sondern im Gegenteil sogar sehr klug, sich externe Expertise zu holen. Und zum Dritten rate ich der Geschäftsführerebene zu prüfen, wer im Unternehmen wirklich führt und wer verwaltet. Es braucht keine Ja-Sager. Es braucht eine ganz spezielle und seltene Gattung Mensch: konfliktaffin, kampferprobt. Mein Rat ist klar und direkt: Zögern Sie nicht, packen Sie die Transformation an, und zwar sofort. Holen Sie sich bei Bedarf externe Unterstützung, denn das zeigt Stärke, nicht Schwäche. Und ganz entscheidend: Identifizieren Sie die wahren Führungspersönlichkeiten in Ihrem Unternehmen, jene, die bereit sind, auch unangenehme Entscheidungen zu treffen und Konflikte auszutragen.

Bildnachweis: istockphoto.com/AnaMOMarques

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