
„Monokulturen, egal ob in der Natur oder in Unternehmen, sind störanfälliger“
Christine Trimpel ist Gesellschafterin und Executive Search Advisor bei der Personalberatung Masterpiece. Als Diplom-Biologin sieht sie viele Parallelen zwischen den Vorgängen in der Natur und in Unternehmen. Im Interview macht sie deutlich, dass Transformation in der Natur ein überlebenswichtiges Prinzip sei und genau sollten auch Unternehmen diese betrachten.

Christine Trimpel besetzt als Personalberaterin und Gesellschafterin von Masterpiece, anspruchsvolle Führungspositionen, die nicht nur passend, sondern auch präzise und nachhaltig sein sollen. Bildnachweis: Masterpiece
Onpulson: Frau Trimpel, Sie sind Transformationsberaterin bei der Masterpiece GmbH und bringen Ihre Erfahrungen aus der Biologie in die Unternehmenswelt ein. Wie kam es zu diesem ungewöhnlichen Brückenschlag – und was genau können Unternehmen von biologischen Systemen lernen?
Christine Trimpel: Auf den ersten Blick mag die Verbindung zwischen Biologie und Wirtschaft ungewöhnlich erscheinen, aber bei genauerer Betrachtung ist sie ziemlich naheliegend. Die Biologie ist eine Querschnittswissenschaft, die Wissen unter anderem aus der Physik, Chemie und selbst aus der Informatik und dem Ingenieurwesen integriert, um komplexe Lebensprozesse zu verstehen.
Genau diese interdisziplinäre Denkweise ist auch in der Unternehmensberatung notwendig, wenn es darum geht, Organisationen durch Transformationsprozesse zu begleiten.
Und auch inhaltlich bietet die Natur eine beeindruckende Vorlage für erfolgreiche Veränderung. So ist beispielsweise Transformation in der Natur kein Ausnahmezustand, sondern ein überlebenswichtiges Prinzip. Seit Milliarden Jahren passen sich biologische Systeme kontinuierlich an neue Umweltbedingungen an.
Sie lernen, entwickeln sich weiter und gestalten sich dabei selbstständig um. Wenn wir Unternehmen auch als lebendige Systeme begreifen, die ähnlichen Dynamiken folgen wie vernetzte, selbstregulierende Organismen, können wir Transformation nicht nur besser verstehen, wir können sie aktiv gestalten. Biologie ist dabei die Inspirationsquelle für wirtschaftliche Erneuerung.
Onpulson: Sie sprechen von fünf Prinzipien aus der Biologie, die Unternehmen resilienter machen sollen. Können Sie uns kurz umreißen, welche das sind – und welches Prinzip Führungskräfte als Erstes hinterfragen sollten?
Christine Trimpel: Zentrale Prinzipien in der Natur sind Variation, Selektion, Symbiose, Resilienz und dezentrale Intelligenz. Grob umrissen beschreiben sie, wie biologische Systeme überlebensfähig bleiben, sich an neue Bedingungen anpassen und nachhaltig wachsen – ohne sich zu erschöpfen. Für Führungskräfte scheint mir dabei am wichtigsten, dass sie ihre lineare Planungslogik hinterfragen.
An die Stelle von starren Masterplänen sollte das Prinzip der Selektion rücken, das heißt kleine Variationen und das Lernen aus deren Ergebnissen. Konkret heißt das: Mutig experimentieren, Irrtümer zulassen, Feedback ernst nehmen. Wer resilient sein will, braucht die Fähigkeit, auf Veränderungen agil zu reagieren, und das gelingt besser mit einem evolutionären Denken.
Onpulson: In der Natur sind Anpassungsfähigkeit und Selbstorganisation überlebenswichtig. Wie lassen sich diese Eigenschaften sinnvoll auf Organisationen und Teams übertragen – besonders vor dem Hintergrund hybrider Arbeitsmodelle?
Christine Trimpel: Zentralistische Steuerung existiert nicht in der Natur. Zellen zum Beispiel funktionieren ohne „Chef“ und trotzdem entsteht hochgradig koordinierte Ordnung. Dieses Prinzip der Selbstorganisation lässt sich auch auf Teams übertragen, besonders in hybriden oder dezentralen Arbeitsumfeldern. Was es dafür braucht, sind psychologische Sicherheit, klare Rahmenbedingungen und die Möglichkeit, Entscheidungen dort zu treffen, wo das Wissen vorhanden ist.
Ein weiteres biologisches Vorbild ist der Rhythmus von Aktivität und Regeneration. In der Natur gibt es Phasen wie Winterruhe oder Wachstumspausen. Sie sind nicht ineffizient, sondern essenziell für langfristige Leistungsfähigkeit. Auch Unternehmen brauchen solche Rhythmen: Bewusste Downtime, Reflexionsräume, echte Pausen. Gerade in Zeiten von New Work, wo die Grenzen zwischen Beruf und Privatem immer mehr verschwimmen, wird das zunehmend wichtig.
Onpulson: Hierarchische Strukturen stoßen in Zeiten des Wandels oft an ihre Grenzen. Welche Führungsansätze aus der Biologie bieten eine Alternative – und wie lassen sie sich in bestehende Unternehmensstrukturen integrieren, ohne Chaos zu stiften?
Christine Trimpel: In biologischen Systemen ist Führung relational, nicht kontrollierend. Wert entsteht an den Schnittstellen, das heißt dort, wo sich unterschiedliche Systeme begegnen und vernetzen. Übersetzt in den Unternehmenskontext bedeutet das, an die Stelle einer starren Kontrolllogik sollte eine Beziehungslogik treten, die auf Vertrauen, Kommunikation und Vernetzung setzt. Das lässt sich auch in bestehenden Organisationen umsetzen – etwa durch die Förderung von dezentraler Intelligenz.
Dazu müssen Entscheidungsbefugnisse dort verankert werden, wo die Kompetenz sitzt, zum Beispiel in Kundenteams oder in der Produktentwicklung. Das braucht eine kluge Architektur mit klaren Zielen, aber flexiblen Wegen dahin. Führungskräfte müssen dazu lernen, Netzwerke zu moderieren, statt sie zu dirigieren. Ihre Rolle verschiebt sich dabei vom Anweiser zum Möglichmacher. Das erfordert neue Kompetenzen – allen voran aktives Zuhören sowie die Fähigkeit, Räume zu schaffen und mit Unsicherheit umgehen zu können.
Onpulson: Auch Diversität spielt in der Biologie eine zentrale Rolle für das Überleben von Arten. Welche Parallelen sehen Sie zur Unternehmenswelt – und wie gelingt es, Vielfalt im Team als Innovationsmotor zu nutzen?
Christine Trimpel: In der Natur ist Diversität eine Überlebensstrategie. Genetische Vielfalt schützt Arten vor Auslöschung durch Umwelteinflüsse oder Krankheiten. Je unterschiedlicher die genetischen Anlagen, desto größer die Chance, dass einige Individuen auch unter neuen Bedingungen überleben.
Genau dieses Prinzip lässt sich auf Organisationen übertragen: Kognitive Vielfalt, das heißt das Zusammenspiel unterschiedlicher Denkstile, Erfahrungen und Perspektiven, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass disruptive Signale frühzeitig erkannt und kreative Lösungen gefunden werden. In Teams bedeutet das: Diversität macht Organisationen nicht nur stabiler, sondern auch anpassungsfähiger.
Monokulturen, egal ob in der Natur oder in Unternehmen, sind störanfälliger. Um Vielfalt zum Innovationsmotor zu machen, braucht es jedoch mehr als nur „bunte Lebensläufe“: Es braucht eine Kultur, in der Menschen mit abweichenden Meinungen gehört werden, und ein Klima, das Unterschiede aktiv fördert. Biologisch gesprochen, überleben die anpassungsfähigsten Arten. Und Anpassungsfähigkeit entsteht nicht durch Einheitlichkeit, sondern durch Vielfalt im Denken, im Handeln und in der Haltung.
Onpulson: Viele Unternehmen tun sich schwer damit, alte Routinen loszulassen. Gibt es aus der Biologie ein Prinzip oder eine Strategie, wie Wandel nachhaltiger gestaltet werden kann – etwa bei der Einführung agiler Methoden?
Christine Trimpel: In der Natur ist Transformation kein einmaliges Projekt, sondern ein dauerhafter Prozess – kontinuierlich, iterativ, angepasst an Umweltveränderungen. Genau diese Perspektive sollten auch Unternehmen einnehmen. Wandel darf nicht als einmalige „Change-Kampagne“ verstanden werden, sondern als dauerhafte Fähigkeit zur Erneuerung. Zentral ist dabei, Altes bewusst abzuschalten und dann Neues in geschützten Räumen zu testen, bevor es skaliert wird. Diese klare Reihenfolge – Abschalten, Erproben, Skalieren – verhindert Überforderung und schafft Orientierung.
Zudem braucht es gute Führungskommunikation, die Sinn vermittelt: Warum verändern wir uns? Wohin führt die Reise? In der Biologie geschieht Transformation oft unter hohem Druck – etwa bei Naturkatastrophen. Unternehmen müssen lernen, auch ohne äußere Katastrophen rechtzeitig in Bewegung zu kommen. Das geht nur mit Führungskräften, die Mut haben, Narrative setzen und Wandel mit Überzeugung vorleben.
Onpulson: Wenn Sie Entscheidern im Mittelstand einen praktischen Impuls aus Ihrer Arbeit mitgeben könnten: Welches biologische Prinzip sollten sie ab morgen bewusst in ihrer Führungsarbeit anwenden – und warum?
Christine Trimpel: Ich würde dem Mittelstand besonders das Prinzip der Symbiose ans Herz legen. In der Natur sichern sich unterschiedliche Organismen gegenseitig das Überleben, indem sie zusammenarbeiten – in Win-win-Beziehungen, nicht in kurzfristiger Ausbeutung. Für Unternehmen geht das einher mit langfristigen Partnerschaften mit Kunden, Lieferanten, Mitarbeitenden. Das fördert Vertrauen, senkt Reibungsverluste und erhöht die Innovationskraft.
Gerade in volatilen Märkten ist das ein echter Resilienzfaktor. Von Symbiose profitieren Unternehmen aber auch intern. Führung auf Augenhöhe, echtes Zuhören, die Fähigkeit, als Leader selbst dazuzulernen. Wer in Symbiosen denkt, sieht die eigene Organisation als lebendiges System. Und das ist genau die Haltung, die unsere Wirtschaft jetzt braucht.
Bildnachweis: istockphoto.com/Miodrag Kitanovic
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