Roland Fleck von Walburgon, B·A·D

„Eine neue Erfahrung, plötzlich angreifbar zu sein“

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Coronapandemie, Ukrainekrieg, Energieknappheit: Eine Vielzahl von Krisen hat Deutschland erfasst. Zahlreiche Menschen fühlen sich dadurch sowie durch steigende Anforderungen im Berufs- und Privatleben belastet. Manche entwickeln so starke Ängste, dass sich diese auch auf die Arbeitsleistung auswirken können.

Porträtfoto von Roland Fleck von Walburgon, Gesundheitsberater bei B·A·D GmbH, Gesundheitsvorsorge und Sicherheitstechnik

Roland Fleck von Walburgon ist Diplom- Psychologe und Senior Berater Gesundheitsmanagement bei B·A·D, ein europaweit tätiger Dienstleister im Arbeitsschutz, in der Arbeitsmedizin und in der betrieblichen Gesundheitsvorsorge.

Onpulson hat mit Roland Fleck von Walburgon, Diplom-Psychologe und Senior Berater Gesundheitsmanagement bei B·A·D gesprochen, wie Betroffene und Arbeitgeber damit umgehen können. B·A·D bietet Dienstleistungen im Arbeitsschutz, in der Arbeitsmedizin und in der Betrieblichen Gesundheitsvorsorge für Unternehmen aller Branchen an.

Sie führen seit Langem Beratungsgespräche mit Arbeitnehmenden. Wie haben sich die Sorgen der Menschen in den vergangenen Jahren verändert?

Das Themenspektrum ist vielfältiger geworden. Früher standen Probleme rund um das Berufs- und Privatleben bei den Beratungen im Vordergrund. Inzwischen haben viele Beschäftigte zunehmend das Bedürfnis, über die Geschehnisse in der Welt zu sprechen – seien es Coronapandemie, Wetter-Extremereignisse, Ukrainekrieg oder Energiekrise. Ereignisse, die bisher weit weg schienen, betreffen uns nun unmittelbar. Es ist für viele Menschen eine neue Erfahrung plötzlich angreifbar zu sein, und das müssen sie psychisch erst einmal verdauen. Dies wird jedoch durch die konstante mediale Reizüberflutung mit negativen Meldungen erschwert.

Eine zunehmende Zahl der Beschäftigten ist aufgrund dessen stark verunsichert. Sie empfinden, dass die Welt anscheinend mehr und mehr aus den Fugen gerät, so dass nichts mehr sicher erscheint. Wenn Handlungs- und Planungssicherheit fehlen, entwickeln viele diffuse Zukunftsängste, einige sogar konkrete Existenzängste. Alle Altersgruppen sind davon betroffen.

Was treibt die Menschen in Bezug auf ihren Arbeitsplatz um?

Die Angst beruflichen Anforderungen nicht mehr genügen zu können, steigt stetig. Vor allem ältere Beschäftigte fühlen sich überfordert durch die rasanten Veränderungen in der Arbeitswelt. Neue Organisationsstrukturen, Technologien und Arbeitsweisen sowie die Entgrenzung von Arbeitszeiten und Arbeitsorten bergen die Gefahr der Isolation, Entfremdung und Selbstausbeutung der Beschäftigten.

Viele Menschen stoßen im Beruf und/oder im Privatleben verstärkt an die Grenzen ihrer Belastbarkeit; das Karussell der Erschöpfung beginnt sich zu drehen. Die Selbstwirksamkeit, das heißt, die persönliche Überzeugung, selbst schwierige Aufgaben, Herausforderungen oder Probleme durch eigenes Handeln bewältigen zu können, nimmt ab. Im Gegenzug nehmen Gefühle der Ohnmacht und Hilflosigkeit zu, weil sich die Menschen den Herausforderungen nicht mehr gewachsen fühlen. Psychische Erschöpfung und Burn-out sind mittlerweile fester Bestandteil meiner Beratungen. Die jährlichen Gesundheitsreporte der Krankenkassen zeigen: Depressionen, Anpassungsstörungen und Ängste sind weiter auf dem Vormarsch.

Welche Auswirkungen haben solche Ängste auf die Gesundheit und auch auf die Arbeitsleistung?

Wenn Angst zum vorherrschenden Moment im Leben wird, kostet das die Betroffenen in der Regel viel Kraft und Energie, täglich damit umzugehen und dagegen anzugehen. Am Arbeitsplatz wirkt sich ein Zuviel an Angst meist negativ auf Konzentration und Arbeitsleistung aus. Steigende Fehlerquoten, eine sinkende Arbeitsleistung sowie Verhaltensauffälligkeiten am Arbeitsplatz sind typische Alarmzeichen, die der Arbeitgeber nicht ignorieren darf. Die Betroffenen versuchen zunächst noch den Schein zu wahren, fallen aber mehr und mehr durch für sie untypische Verhaltensweisen auf, etwa Aggressivität, Wutausbrüche oder auch sozialer Rückzug.

Ein Mensch, der ständig mit zu viel Angst durch das Leben geht, steht im Grunde genommen ständig unter Strom. Körper, Geist und Psyche befinden sich quasi in einer Art Daueralarm, mit entsprechend hohem Verschleiß für den gesamten Organismus. Stellt sich Dauerstress in Form von negativem Stress ein und verfügt der Mensch nicht über angemessene Bewältigungsstrategien, bleiben die wichtigen Erholungsphasen aus. Das kann im schlimmsten Fall bis zum totalen Zusammenbruch führen. Das heißt: Überdimensionierte Ängste haben das Potenzial, ganze Biografien und Leben zu zerstören.

Welche typischen Symptome gibt es?

Zunächst einmal: Symptome sind die Sprache unseres Organismus. Wir sind gut beraten, diese Signale zu beachten und sie nicht zu ignorieren. Symptome zeigen sich auf drei Ebenen: Herz-Kreislauf-, Magen-Darm- oder Hauterkrankungen sind Beispiele für somatische Symptome. Psychische Symptome können Unruhe, Nervosität, Ängste und Depression sein; auf mentaler Ebene machen sie sich bemerkbar als Grübeln, Gedankenkreisen oder negative Einstellungen. Diese drei Bereiche – Körper, Geist und Seele – bilden ein ganzheitliches System; sie interagieren und beeinflussen sich wechselseitig.

Wer ausgeprägte Existenzangst hat, denkt ständig nur noch daran, alles verlieren zu können. Diese Personen empfinden keine Freude mehr und sind nicht mehr dankbar für die Menschen oder Dinge, die ihr Leben trotz allem bereichern. Selbst-Wahrnehmung und Wahrnehmung der Welt färben sich gefährlich negativ ein. Die Folge können ein ausgeprägtes Gefühl der Hilflosigkeit und Panikattacken sein. Die Betroffenen fühlen sich ausgeliefert und glauben nicht mehr daran, selbst etwas an der Situation ändern zu können.

Was empfehlen Sie Betroffenen, die starke Ängste haben?

Angst ist eine von fünf Grundemotionen, die wir unbedingt zum Überleben brauchen und die es deshalb auch zu würdigen gilt. Unser Gehirn ist evolutionsbiologisch so angelegt, dass wir bei Gefahr entweder flüchten oder kämpfen wollen. Um das richtige Maß an Angst zu finden, hilft die Betrachtungsweise: „Vertraue deiner Angst, sie kann dich schützen. Misstraue deiner Angst, sie kann dich vernichten.“

Ob und wann es schädlich ist, wenn Denken, Fühlen und Handeln der Menschen sehr von Sorgen und Ängsten geprägt sind, hängt wesentlich davon ab, wie gut es um ihre internen und externen Ressourcen sowie Kompetenzen bestellt ist, um geeignete Maßnahmen und Lösungen zu generieren, die das Zuviel an Angst nicht mehr erforderlich machen. Wirkungsvoll ist es, wenn wir uns bewusst werden über unsere persönlichen Bewertungsprozesse, inneren Überzeugungen, inneren Dialoge, Selbstgespräche, und persönlichen Glaubenssätze, wie wir uns selbst und die Welt sehen. Sie zu kennen und zu erkennen, dass wir selbst sie verändern können, hilft gerade vielen psychisch belasteten Menschen. So lässt sich Resilienz, die so wichtige psychische Widerstandskraft, ausbauen.

Was hilft noch?

Den Medienkonsum zu reduzieren. Negative Nachrichten können unser Gehirn in negative Denkschleifen bringen mit schädlichen Auswirkungen auf unsere seelische Balance. Unser Gehirn sucht bei Krisen oder Problemlagen stets nach Lösungen und gibt erst Ruhe, wenn diese gefunden sind. Liegt die Lösung außerhalb unserer Kompetenzen, sucht das Gehirn trotzdem unermüdlich weiter und die Person grübelt und verzweifelt. Sie kann nicht mehr abschalten und erschöpft sich. So gesehen sind Depressionen, Angst- und Anpassungsstörungen Lösungsversuche unserer Psyche mit dem Problem, der Krise, klarzukommen. Bevor es so weit kommt, sollte man sich professionelle Unterstützung holen. In regelmäßigen Gesprächen werden die Betroffenen ermutigt, neue Perspektiven und Bewertungen ihrer Situation ein- beziehungsweise vorzunehmen. Aus Ohnmacht und Hilflosigkeit werden so Selbstwirksamkeit und realistischer Optimismus.

Wie können Arbeitgeber und Führungskräfte betroffene Mitarbeitende unterstützen?

Gerade in Zeiten massiver Umwälzungen sollten Arbeitgeber und Führungskräfte die Psyche der Beschäftigten im Blick haben. Denn die Anzahl psychisch bedingter Fehltage am Arbeitsplatz steigt seit Jahren – mit entsprechend negativen Konsequenzen für Unternehmen.

Die klare Botschaft muss sein: Du bist da für uns und wir sind da für dich! Das schafft Bindung und stärkt den psychologischen Arbeitsvertrag. Statt Frust und Ohnmacht zu verbreiten, sollten Führungskräfte ehrlich kommunizieren, Zuversicht ausstrahlen und mutig nach vorne blicken. Sie sollten sensibel dafür sein, wie entscheidend die psychische, geistige und körperliche Gesundheit aller Beschäftigten für die Gesundheit des Unternehmens ist. Coachings, zum Beispiel zur gesunden Führung, können sie dabei unterstützen.

Darüber hinaus schaffen Instrumente wie eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen und ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) in Betrieben die Voraussetzungen, um Belastungsmomente am Arbeitsplatz zu analysieren, zu identifizieren und Maßnahmen zu deren Reduktion zu generieren. Ein unabhängiges und ganzheitliches Unterstützungsprogramm, wie das Employee Assistance Program (EAP), ist zusätzlich für Unternehmen empfehlenswert. Dabei handelt es sich um einen psycho-sozialen Beratungsservice, den B·A·D Unternehmen anbietet. Mitarbeitende und Führungskräfte finden hier Unterstützung bei allen beruflichen, persönlichen und gesundheitlichen Fragen.

Wie sollten sich denn andere verhalten, wenn sie merken, dass die psychische Belastung bei einem Kollegen steigt? Ist die direkte Ansprache der richtige Weg oder sollten sie Führungskräften ihre Beobachtung mitteilen?

Auch als Kolleg*innen haben wir eine Mitverantwortung. Sinnvoll ist es, die betroffene Person direkt anzusprechen und ihr in einer Ich-Botschaft zu signalisieren, dass man sich Sorgen macht. Ebenso sollte man das Angebot machen als Gesprächsperson zur Verfügung zu stehen, sofern ihr oder ihm das hilft. Wehrt der Betroffene alles ab, doch es gibt konkrete Hinweise für seinen labilen Zustand – vielleicht durch Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch – wäre der Weg zur Führungskraft, zum Betriebs- oder Personalrat denkbar.

Empfehlen sich Schulungen in Sachen psychische Belastungen? Oder reicht das Laien-Psychologie-Wissen hinsichtlich Erste Hilfe in diesem Kontext?

Schulungen, insbesondere der Führungskräfte, sind wichtig. Man darf die Form der Laienintervention nicht unterschätzen. Die richtigen Emotionen, Worte oder nur das da sein sind in einer Notlage viel wert. Fortbildungen, in denen psychologisches Basiswissen vermittelt wird, geben dem Helfer, der Helferin hierbei die erforderliche Handlungssicherheit. Mit einer gewissen Fachlichkeit fällt es leichter zu beurteilen, ob man jemanden allein lassen oder nach Hause schicken kann oder ob es ggf. doch weiterer professioneller Unterstützung bedarf, wie z.B. im Krisenfall die Akuteinweisung in ein Fachklinikum.

Bildnachweis: ©istockphoto.com/MangoStar_Studio

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