Interkulturelle Kompetenz als kritischer Erfolgsfaktor für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen
Moderne Teamarbeit

Interkulturelle Kompetenz als kritischer Erfolgsfaktor für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen

Porträtfoto von Elke Müller, Geschäftsführerin compass international
Am

Die Einstellung internationaler Fachkräfte ist für viele Unternehmen weit mehr als ein kurzfristiger „Recruiting-Schritt“ entlang kulturbedingter Notwendigkeiten. Vielmehr eröffnet sich eine strategische Dimension: Diversität und interkulturelle Kompetenz werden zum Wettbewerbsfaktor - sowohl für Innovationsfähigkeit als auch für Nachhaltigkeit der Belegschaft.

Noch immer wissen viel zu wenige Organisationen, wie sie ihre internationale Talente binden können. Hierbei spielt die Fluktuation eine entscheidende Rolle. So ist die Fluktuation internationaler Mitarbeitender ist oft signifikant höher als die Fluktuation neuer, nicht zugewanderter Mitarbeitender. Darüber wird ungern gesprochen und ganz oft wird der Rückschluss gezogen, dass es halt doch „sehr schwierig sei, international zu rekrutieren“ und dass „die internationalen Newbies sich auch echt schwer tun …“  – besonders dann, wenn diese Fachkräfte aus einem anderen kulturellen Umfeld stammen.

Noch immer glauben viele Organisationen, ein „solides Onboarding“ reiche aus – ein paar Schulungen, ein netter Willkommensgruß, ein Rundgang durch die Abteilungen. Doch in einer globalen Arbeitswelt ist das ungefähr so wirksam wie ein Regenschirm im Orkan.

Internationale Fachkräfte bringen Expertise mit, Perspektiven, Erfahrungen – und kulturelle Codes, die sich nicht einfach am Empfang abgeben oder anpassen lassen. Wer glaubt, Integration gelinge durch fachliche Einarbeitung oder durch die feste Überzeugung, „bei uns ticken alle gleich“ oder „bei uns arbeiten Menschen aus 23 Nationen“ verkennt, wie komplex Zusammenarbeit in vielfältigen, multikulturell zusammengesetzten Teams ist. Und wie schnell sie scheitert, wenn interkulturelle Kompetenz fehlt.

Interkulturelle Kompetenz als Fundament moderner Teamarbeit

Das Konzept der interkulturellen Kompetenz beschreibt die Fähigkeit, mit Menschen aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten erfolgreich zusammenzuarbeiten — unter Achtung von Respekt, Empathie, Anpassungsfähigkeit und kommunikativem Feingefühl. Kultur ist kein starres Gebilde, sondern ein dynamisches Geflecht von Bedeutungen und Interaktionen. So entsteht interkulturelle Kompetenz nicht durch Schubladendenken, sondern durch den bewussten Beziehungsaufbau, Reflexion der eigenen Verhaltensweisen und der bewussten Öffnung von Handlungsspielräumen.

Für die Praxis bedeutet das: Interkulturelle Kompetenz muss Teil der Unternehmenskultur werden. Dabei sollte deutlich sein, dass allein durch die Anwesenheit von Menschen aus verschiedenen Kulturen noch lange keine interkulturelle Kompetenz entsteht!

Interkulturelle Kompetenz ist das Fundament eines nachhaltigen Onboardings. Doch viele Organisationen behandeln sie wie die Dekokirsche, die man bei Bedarf arrangiert. Und genau das führt zu unnötigen Situationen wie diesen:

Beispiel 1: Wenn Feedback Kulturbarrieren auslöst

Ein deutscher Vorgesetzter gibt seiner neuen vietnamesischen Mitarbeitende ein direktes, ungefiltertes Feedback. „Bei dieser Aufgabe musst du noch viel mehr auf die Kundenwünsche achten! So wie du das angehst, reicht das nicht.“ – klar und direkt — so wie man es im deutschsprachigen Raum schätzt. Für die Mitarbeiterin jedoch ist diese Form der Kritik beschämend. Sie versteht sie als persönlichen Angriff und zieht sich zurück.

Ergebnis: Sie arbeitet defensiver, fragt weniger nach, vermeidet Verantwortung. Die Führungskraft wiederum interpretiert dieses Verhalten als „Unsicherheit“ oder „mangelnde Passung“. Das Problem lag nie in ihrer Kompetenz. Es lag in der fehlenden interkulturellen Kompetenz auf beiden Seiten.

Beispiel 2: Wenn kulturelle Kommunikationsstile falsch interpretiert werden

Ein hochqualifizierter marokkanischer IT-Spezialist wird im Bewerbungsgespräch als „unstrukturiert“ wahrgenommen, weil er nicht linear antwortet, sondern kontextreich erzählt. Was Recruiting offensichtlich nicht weiß: In seiner Kommunikationskultur gilt Kontext als Zeichen von Respekt und Gründlichkeit.

Er wird abgelehnt. Ein anderes Unternehmen stellt ihn ein — und profitiert von genau jener Denkweise, die hier fälschlicherweise als Defizit gelesen wurde. Solche Situationen sind keine Randnotizen oder Einzelfälle. Sie entscheiden darüber, ob Fachkräfte bleiben, Leistung erbringen und sich als Teil des Unternehmens fühlen.

Warum Onboarding heute interkulturell sensibel sein muss

Wesentlich für nachhaltige Integration ist die Verankerung von Diversity und interkultureller Sensibilität in der Unternehmenskultur. Wenn Teams kulturelle Vielfalt aktiv wertschätzen, gemeinsame Rituale entwickeln, internationale Feiertage sichtbar machen oder interkulturelle Teamtage etablieren, entsteht eine Kultur des Respekts und der Offenheit. Davon profitieren nicht nur internationale Mitarbeitende, sondern die gesamte Organisation.

Ein weiterer zentraler Baustein betrifft die tägliche Zusammenarbeit und Kommunikation. Teams müssen lernen, unterschiedliche Kommunikations- und Arbeitsstile zu reflektieren – etwa im Umgang mit Feedback, Hierarchien oder Entscheidungswegen. Schulungen zur interkulturellen Kommunikation können dabei unterstützen, Missverständnisse zu vermeiden und gemeinsame Werte auszuhandeln.

Wer internationale Talente gewinnen will, muss mehr bieten als ein paar englischsprachige Tools, sondern:

  • Kulturelle Orientierung: Eine klare kulturelle Orientierung ist notwendig, nicht nur für die Neuen – sondern für das ganze Team
  •  Strukturierte Führungskräfte: Strukturiert vorbereitete Führungskräfte sind notwendig, die Vielfalt nicht verwalten, sondern aktiv gestalten
  •  Transparenz: Transparenz zu Erwartungen, Regeln und unausgesprochenen Normen ist entscheidend.
  •  (Gesprächs-)Räume: Hier sollen Missverständnisse nicht eskalieren, sondern geklärt werden, in denen Kultur aktiv zum Thema gemacht wird und sich eine Feedbackkultur auf Augenhöhe etabliert.

Onboarding ist ein organisationales Lernfeld, das schon beim Recruiting mitgedacht gehört. Hier entscheidet sich, ob Vielfalt zum Innovationsmotor wird oder zum Unsicherheitsfaktor. Interkulturelle Kompetenz wird zu einem strategischen Businessfaktor, der:

  • Konflikte reduziert und Misstöne minimiert
  • Leistung erhöht, Bindung stärkt und Fluktuation senkt
  • Führung entlastet und nachweislich das Employer Branding verbessert.

Warum interkulturelle Kompetenz Mut erfordert – und Unternehmen stärkt

Entscheider müssen sich fragen: Wie viel des Fachkräftemangels ist tatsächlich ein Mangel an Fachkräften – und wie viel ein Mangel an Integrationsfähigkeit in unserer Organisation? Der demografische Wandel verstärkt den Druck zusätzlich. Internationale Fachkräfte werden zu einem strukturellen Pfeiler der Personalgewinnung. Wer sie halten will, braucht klare Integrationsprozesse, kulturelle Sensibilität und Führungskräfte, die in der Lage sind, Unterschiede produktiv zu nutzen. Sonst steigen Rekrutierungskosten, Fluktuation und Time-to-Productivity — und zwar absehbar. Fehlende interkulturelle Kompetenz kostet dagegen: Geld – Zeit – Talente – Reputation – täglich!

Eine kultursensible Onboarding-Strategie verlangt:

  • (ständige) Reflexion der eigenen Normen
  • Transparenz über formelle und informelle Regeln
  • Partizipation aller Beteiligten
  • Führung, die zuhört und Ambiguitäten aushält

Das ist erst einmal unbequem. Aber genau diese Unbequemlichkeit macht Organisationen robust und zukunftsfähig. Unternehmen, die interkulturelle Kompetenz verinnerlichen, entwickeln sich selbst weiter. Und das ist der eigentliche Gamechanger.

Was Unternehmen jetzt tun sollten: 

  • Beginnen Sie mit einer Bestandsaufnahme: Wie gut ist Ihr Unternehmen auf internationale Mitarbeitende vorbereitet?
  • Entwickeln Sie ein interkulturelles Konzept: Mit Zuweisung klarer Zuständigkeiten und Ressourcen.
  • Messen Sie Integrationserfolg: Zufriedenheit, Bindung, Vielfalt, Innovationskraft von Bedeutung.
  • Bauen Sie interkulturelle Kompetenz: Als festen Bestandteil der Unternehmensstrategie ein.

Interkulturelle Kompetenz ist die Fähigkeit, diese vermeintlich neue Realität produktiv zu gestalten. Nur Unternehmen, die das begreifen, werden im globalen Wettbewerb bestehen.

  1. Müller, Elke: 30 Minuten Internationales Onboarding. Gabal, Offenbach 2022.
  2. Soziale Integration. Studie offenbart zu wenig Strukturen im Onboarding. Haufe Online Redaktion, 15.06.2023.

Bildnachweis: istockphoto.com/alphaspirit

Über den Autor

Porträtfoto von Elke Müller, Geschäftsführerin compass international

Elke Müller Elke Müller ist Geschäftsführerin von compass international, einem Unternehmen, das sich auf Vielfalt im Berufsleben spezialisiert hat. Die Betriebswirtin ist Fachbuchautorin und bietet Workshops zu Themen wie Antidiskriminierung und Sensibilisierung für Diversity an – häufig für Führungskräfte oder Teams mit sehr unterschiedlichen Hintergründen. In ihrer Rolle als Beraterin begleitet sie Organisationen unter anderem bei der Internationalisierung ihrer Personalarbeit, bei der Einführung und Umsetzung von Diversity-&-Inclusion-Projekten sowie beim strategischen Onboarding internationaler Mitarbeitender. compass-international.de
Zum Autorenprofil

Kommentare

Kommentar schreiben:

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Erhalten Sie jeden Monat die neusten Business-Trends in ihr Postfach!
X