Change: Die Vorgehensweise bei der Veränderung der Organisationskultur
Wenn Unternehmen erkennen „In unserer Organisation klemmt es“ – zum Beispiel im Bereich Führung und Zusammenarbeit – verfallen sie oft in Aktionismus. Das heißt, sie verwenden zu wenig Zeit für eine Analyse der Organisationskultur.
Welche (Detail-)Ziele wollen wir eigentlich erreichen? Und: Welche Maßnahmen führen uns zum Ziel? Die Folge: Sie starten oft Interventionen, die sich schon in der Vergangenheit als wenig zielführend erwiesen haben.
Wie gelangen Unternehmen zur Entscheidung, kulturelle Changeprojekte in ihrer Organisation zu starten? In der Regel haben zunächst Mitglieder der Unternehmensleitung latent das Gefühl: „Irgendetwas stimmt in unserer Organisation nicht mehr; etwas muss sich ändern.“ Zum Beispiel, weil sich das Unternehmensumfeld gewandelt hat. Oder weil sich das Kaufverhalten der Kunden allmählich ändert. Oder weil es recht lange dauert, bis Entscheidungen umgesetzt sind.
Also beobachten die Entscheider das Phänomen zunächst einige Zeit. Und verdichtet sich bei ihnen das Gefühl „Da haben wir ein Problem“ oder „Da könnten wir ein Problem bekommen, wenn …“, entscheiden sie irgendwann – alleine oder mit Kollegen: Die Sache untersuchen wir genauer. Das heißt, sie beauftragen – abhängig vom Phänomen, das ihr Unbehagen auslöst – zum Beispiel eine Unternehmensberatung, den Sachverhalt genauer zu untersuchen. Oder sie lassen eine Kunden- oder Mitarbeiterbefragung durchführen. Und bestätigen die Ergebnisse der Untersuchung oder Befragung ihre Vermutungen, dann wächst ihnen allmählich die Erkenntnis: Hier müssen wir aktiv werden. Also treffen sie eine entsprechende Basisentscheidung.
Kernfrage: Welche Interventionen führen zum Ziel?
Mit der Basisentscheidung „Wir tun etwas“ ist aber noch lange nicht klar, was das Unternehmen tut, um das Problem zu lösen. Denn ungeklärt ist zum einen noch
- „Welches Ziel wollen wir mit unseren Aktivitäten eigentlich erreichen?“ und zum anderen
- „Was sollten wir tun, um das Gap, also die Lücke zwischen dem aktuellen Ist-Zustand und dem angestrebten Soll-Zustand, zu schließen?“
Nach der Entscheidung „Wir werden aktiv“ muss also ein weiterer Erkenntnis- und Entscheidungsprozess stattfinden. Und die Art und Weise, wie dieser Prozess gestaltet wird, ist für den Erfolg des Veränderungsvorhabens sehr wichtig, denn in ihm werden die Weichen für die künftige Entwicklung gestellt.
Genau in dieser Phase zwischen den beiden Entscheidungspunkten „Wir tun etwas“ und „Was tun wir“ begehen Unternehmen bei Projekten, die auf eine Kulturveränderung abzielen, oft gravierende Fehler. Denn ihre Top-Entscheider neigen – als pragmatische Macher – häufig dazu, sich vorschnell für gewisse Lösungswege zu entscheiden, ohne vorab ausreichend zu prüfen:
- Vor welcher Art von Problem/Herausforderung stehen wir?
- Was sind dessen/deren Ursachen?
- Welches Ziel, welche Veränderung möchten wir erreichen?
- Welchen möglichen Weg zum Ziel gibt es? Und:
- Über welchen Weg erreichen wir am ehesten unser Ziel?
Die Folge: Sie beschreiten vielfach Lösungswege, die sich bei anderen Projekten mehr oder minder bewährt haben. Dabei ist es gerade bei Projekten, die auf eine Veränderung auf der Kulturebene abzielen, oft nötig, die gewohnten Problemlösepfade zu verlassen, um das angestrebte Ziel zu erreichen.
Nicht in gewohnte Reaktionsmuster verfallen
Das sei an einem realen, aber verfremdeten Praxisbeispiel illustriert. Im Frühjahr 2009 hatte die Führung eines Unternehmens mit 1700 Mitarbeitern das Gefühl: Unsere Organisation entwickelt eine zu geringe Schlagkraft. Entscheidungen werden auf der Bereichs- und Abteilungsebene nicht schnell und konsequent genug umgesetzt.
Also beauftragte der Vorstand eine externe Unternehmensberatung, eine Mitarbeitarbeiterbefragung durchzuführen. Sie ergab unter anderem: Im Bereich „Führung und Kommunikation“ existiert eine große Soll-Ist-Abweichung. Die Mitarbeiter fühlen sich zum Beispiel nicht ausreichend in Entscheidungen involviert, und ihnen ist oft unklar, warum sie gewisse Dinge tun sollen. Entsprechend unzufrieden sind sie mit ihrer Arbeitssituation. Und das wirkt sich auch negativ auf ihre Motivation aus.
Als dem zuständigen Vorstandsmitglied dieser Befund präsentiert wurde, war dessen spontane Reaktion: Dann lasst uns eine Projektgruppe einrichten, die einen Lösungsvorschlag erarbeitet. Und weil der Vorstand aus früheren Changeprojekte wusste, dass ein frühes Einbeziehen der betroffenen Abteilungen wichtig ist, wünschte er zudem: Der Projektgruppe sollen neben einem Bereichsleiter auch Vertreter der Führungsebenen F2 und F3, also der Abteilungs- und Teamleiterebene angehören.
Der Vorstand reagierte also gewohnt: Um das Problem zu lösen, beabsichtige er eine hierarchieübergreifende Projektgruppe einzurichten. Im anschließenden Gespräch mit dem Berater wurde ihm aber schnell klar, dass bei einem solchen Vorgehen vermutlich keine Projektarchitektur entwickelt werden würde, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Lösung des Problems führt. Unter anderem aus folgendem Grund: Faktisch waren die Probleme im Bereich „Führung und Kommunikation“ in der Organisation nicht neu. Vielmehr kämpfte das Unternehmen mit ihnen seit vielen Jahren. Entsprechend viele Versuche waren denn auch schon, wenn auch aus anderen Anlässen unternommen worden, um es zu beheben – zum Beispiel durch das Formulieren eines neuen Unternehmensleitbildes und neuer Führungsleitlinien. Und durch ein Neugestalten der Führungsnachwuchsprogramme sowie -trainings. Und durch Umgestalten solcher Kommunikationsmedien wie der Mitarbeiterzeitung. Faktisch geändert hatte sich an der Kultur des Unternehmens aber wenig. Denn alle bisherigen Initiativen waren von den Mitarbeiter zwar wahrgenommen und zumeist sogar zumindest verbal begrüßt worden. Sie hatten aber nicht „ihr Herz“ erreicht. Denn Veränderungsbedarf sahen die Mitglieder der Organisation – vom Vorstand bis zum Pförtner – meist nur bei den jeweils anderen. Dass sie selbst auch ihr Verhalten, sei es alleine oder als Team, ändern müssen, das erkannten sie in der Regel nicht.
Das Problem durchdringen und verstehen
Nachdem der Berater dem Vorstand dies erläutert hatte, entschied dieser: Okay, wir richten zwar eine Projektgruppe ein. Diese soll aber von einem externen Berater moderiert werden. Er soll dafür sorgen, dass die Gruppe schärfer als bisher das Problem analysiert und zudem ihr eigenes Verhalten und Vorgehen reflektiert.
Beim ersten Treffen der Projektgruppe wurden deren Mitgliedern zunächst noch einmal die Ergebnisse der Befragung präsentiert. Danach wurden die Projektmitglieder gebeten, ihre Vermutungen über die Ursachen des Problems sowie mögliche Problemlöseschritte zu formulieren. Der externe Moderator schrieb auf Moderationstafeln und Flipcharts fleißig mit. Nach circa 1,5 Stunden bat er die Projektgruppenmitglieder, zwei Arbeitsgruppen zu bilden: Die erste Gruppe sollte aus dem anwesenden Bereichsleiter und den drei Abteilungsleiter bestehen; die zweite Gruppe aus den sechs Teamleitern. Beide Gruppen sollten unter anderem folgende Fragen beantworten:
- Wie war die Zusammenarbeit in den vergangenen Stunden?
- Wie hat sich die Projektgruppe organisiert?
- Wie waren die Redezeiten verteilt?
- Auf welchen Ebenen wurde diskutiert?
- Welche Denk- und Verhaltensmuster wurden sichtbar?
Beim Auswerten der Arbeitsgruppenergebnisse im Plenum wurde den Mitgliedern der Projektgruppe schnell klar: Eigentlich haben wir beim gemeinsamen Arbeiten genau die Strukturen reproduziert sowie Verhaltensmuster gezeigt, die im Unternehmensalltag eine zentrale Ursache der Probleme im Bereich „Führung und Kommunikation“ sind. Die Gesprächsführung hatte der Bereichsleiter, also der Ranghöchste. Die drei Abteilungsleiter sagten zwar ihre Meinung, ordneten sich faktisch aber stets dem Votum des Bereic
hsleiters unter. Und die sechs Teamleiter? Sie schwiegen – sieht man von einigen kleinen Zwischenbemerkungen ab. Das heißt, die Mitglieder der Projektgruppe erkannten allmählich: Wir sind selbst ein Teil des Problems für das wir eine Lösung suchen.
Nach neuen, alternativen Lösungswegen suchen
Ein weiterer Punkt wurde den Mitgliedern der Projektgruppe beim Reflektieren der eigenen Arbeit deutlich: Bei den bisher artikulierten Problemlösevorschlägen handelt es sich weitgehend um dieselben, die wir in der Vergangenheit bereits praktizierten und die nicht zum gewünschten Ergebnis führten.
So neu für die Problematik sensibilisiert, listete die Projektgruppe anschließend zunächst noch einmal die bisherigen Initiativen auf, um die Probleme im Bereich „Führung und Kommunikation zu lösen.“ Danach analysierte sie: Warum wurden hiermit nicht die gewünschten Ergebnis erreicht? Die Projektgruppe befasst sich also nochmals intensiv mit der Problemanalyse. Ein zentrales Ergebnis hiervon war: Die bisherigen Initiativen waren weitgehend auf der Makro- und Mikro-Ebene angesiedelt. Das heißt, die Initiativen waren entweder isolierte Initiativen des Top-Managements oder sie hatten den Mitarbeiter als Individuum im Fokus. Was jedoch kaum adressiert wurde, war die Meso-Ebene, also die Beziehungsebene beziehungsweise die Arbeitsteam-Ebene, auf der in der Regel im Betriebsalltag nicht nur die Vermittlung von Werten und Zielen erfolgt, sondern sich auch das kollektive Lernen vollzieht.
Ausgehend von diesem Befund reifte in der Projektgruppe zunehmend die Erkenntnis: Wenn wir im Bereich „Führung und Kommunikation“ wirklich nachhaltig etwas verändern möchten, dann nützt uns wenig zum Beispiel weitere Trainingsmaßnahmen für die Führungskräfte oder deren Mitarbeiter aufzusetzen. Ebenso wenig zielführend ist, zum wiederholten Mal unsere Führungsleitlinien zu überarbeiten. Viel zielführender ist es, wenn die (Arbeits-)Teams im Arbeitsalltag – ähnlich wie wir in der Projektgruppe – anhand der konkreten Aufgaben, vor denen sie stehen, regelmäßig reflektieren:
- Wie arbeiten wir eigentlich zusammen?
- Wir kommunizieren wir miteinander?
- Welche Verhaltensmuster zeigen wir bei der Zusammenarbeit und Kommunikation, die unsere Wirksamkeit reduzieren? Und:
- Wie können wir diese Erfolgsbarrieren beseitigen?
Entsprechend waren denn auch der Projektvorschlag konzipiert, den die Projektgruppe zum Lösen der Probleme im Bereich „Führung und Kommunikation“ zunächst dem Vorstand präsentierte und der anschließend realisiert wurde. Er setzte weitgehend auf Maßnahmen, bei denen die (Arbeits-)Teams gemeinsam ihr Tun und Verhalten reflektieren, um hieraus dann konkrete Vereinbarungen auf der Teamebene abzuleiten. Und dieses Vorgehen zeigt auch die gewünschte Wirkung. Dies legt eine zweite Mitarbeiterbefragung nahe, die Anfang 2010 durchgeführt wurde. Sie belegt, dass sich das Gap zwischen Soll- und Ist-Situation erheblich verkleinert hat.
Lieber langsam als vorschnell entscheiden
Ähnliche Erfahrungen wie im obigen Beispiel sammelt man als Berater in Changeprojekten, die auf eine Kulturveränderung abzielen, oft. In ihnen stellt man immer wieder fest: In Aktionismus zu verfallen, bringt, wenn man einen Handlungs- oder Changebedarf erkannt hat, wenig. Denn dann werden zumeist in einer Art Reiz-Reaktions-Schema nur die gewohnten Aktionsmuster wiederholt, was oft eher zu einem Verfestigen der bestehenden Kultur als zu deren allmählicher Veränderung führt. Anders ist dies, wenn die Verantwortlichen sich nach ihrer Entscheidung „Wir müssen etwas tun“ zunächst ausreichend Zeit lassen, um zu reflektieren:
- Welche Ziele wollen wir eigentlich im Detail erreichen?
- Was haben wir in der Vergangenheit bereits getan, um dieses Ziel (oder ein vergleichbares) zu erreichen? Und:
- Was hat sich warum bewährt beziehungsweise nicht?
Dann gelangen die Verantwortlichen zu ganz anderen, neuen Interventionen, und es gelingt ihnen, eher Projektarchitekturen zu schmieden, mit denen die gesteckten Ziele erreicht werden.
Tipp
Deshalb der Tipp: Verlangsamen Sie gerade in der Zeit, wenn es um die Entscheidung geht „Was tun wir, um …“ gezielt den Prozess der Entscheidung. Nehmen Sie zwischen den beiden Entscheidungspunkten „Wir tun etwas“ und „Was tun wir“ viel Zeit zur Reflektion. Dann gelangen Sie zu Projektarchitekturen, mit denen Sie mit einer höheren Wahrscheinlichkeit Ihr Ziel erreichen.
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