Ghosting im Recruiting: Gründe erkennen, Absprünge vermeiden
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Ghosting im Recruiting: Gründe erkennen, Absprünge vermeiden

Porträtfoto von Christine Trimpel, Gesellschafterin und Executive Search Advisor der Masterpiece GmbH
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Ein scheinbar perfekt laufender Bewerbungsprozess, mehrerer Gespräche, gegenseitige Sympathie und trotzdem springt der Kandidat im letzten Augenblick ab – immer öfter sogar ohne Erklärung. Ghosting nennen Personaler dieses Phänomen, das längst kein Randthema in der HR mehr ist. Was genau sind die Beweggründe der Bewerber?

Laut einer aktuellen IAB-Studie ist inzwischen jeder vierte Betrieb mit unbesetzten Ausbildungsplätzen betroffen. Dabei beschränkt Ghosting sich nicht allein auf Lehrstellen.

Wie eine Befragung von The Stepstone Group bestätigt, erlebten rund 70 Prozent der Personalverantwortlichen in den letzten zwölf Monaten, dass Talente sich nicht mehr bei ihnen melden – vor allem direkt nach Einreichung der Bewerbungsunterlagen (27 Prozent) oder nach dem ersten persönlichen oder digitalen Gespräch (26 Prozent). Aus biologischer Sicht ist dieses Verhalten kein Zeichen von Desinteresse, sondern eine klassische Stressreaktion auf Unsicherheit, fehlende Bindung und mangelnde Klarheit. Für Unternehmen ist das vor allem ein Signal, die eigenen Recruiting-Prozesse kritisch zu hinterfragen.

Die Biologie des Absprungs

Wer die Kandidaten nach ihren Gründen für einen Absprung fragt, bekommt häufig Antworten wie „Das Interesse an der Stelle hat sich geändert“ oder „Ein anderes Angebot wurde angenommen“ (38 Prozent). Andere berichten über ein schlechtes Gefühl nach dem Gespräch oder dass der Bewerbungsprozess zu lange dauert (jeweils 26 Prozent). Wie in der Natur greifen hier archaische Muster, Kampf (fight), Flucht (flight) oder Erstarren (freeze).

Einer der zentralen Faktoren, die dahinterstecken, ist Verlustangst. Insbesondere Jobwechsler überschätzen häufig, was sie zurücklassen, und unterschätzen, wie anpassungsfähig sie wirklich sind. Biologisch betrachtet verlässt ein Organismus einen stabilen Zustand nur dann, wenn er im Neuen ein höheres Maß an Sicherheit oder Entwicklung erkennt. Hinzu kommt oft ein gewisses Maß an kognitiver Dissonanz.

Es entsteht ein Spannungsfeld, wenn Botschaften des künftigen Arbeitgebers nicht mit den persönlichen Eindrücken übereinstimmen: Genau diese Diskrepanz nehmen Bewerber als Warnsignale etwa für fehlende Authentizität wahr, was sie in den Rückzug treibt. Vor allem bei jungen Talenten kommt mit emotionaler Distanz ein weiterer Aspekt hinzu, der den Prozess entgleisen lässt.

Wie die Job-Teaser-Studie von 2024 zeigt, bemängeln Nachwuchskräfte aus der Gen Z vor allem fehlende Nähe und Kommunikation. Gibt es keinen Kontakt zur künftigen Führungskraft und das Aufgabenbild bleibt vage, fehlt das Fundament, damit eine echte Beziehung entstehen kann und Kandidaten mutig einen neuen Schritt wagen.

Angesichts der Vielzahl von Optionen in einem Arbeitsmarkt, der insbesondere für qualifizierte Fachkräfte voller Möglichkeiten ist, spielt nicht zuletzt auch Vertrauen eine entscheidende Rolle. Und oft entscheiden Nuancen: Fehlt etwa ein klares „Warum wir?“, kann das ein Gefühl der Unsicherheit triggern, was dazu führt, dass sich im War of Talents die Konkurrenz leichter durchsetzt.

Stellschrauben im Recruiting-Prozess

Unternehmen, die hier gegensteuern wollen, finden Ansatzpunkte vor allem im Prozess selbst. Um Absprünge zu verringern, sollte die Grundlage stimmen. Das heißt, für Betriebe ist es ratsam, auf Faktoren zu setzen, die Vertrauen schaffen – allen voran Authentizität, Tempo und erlebbare Kultur. Gerade Geschwindigkeit ist essenziell.

Im Arbeitsmarktreport 2025 gaben 31 Prozent der 2.000 Befragten an, dass Unternehmen sich spätestens eine Woche nach Empfang der Unterlagen melden sollten. 45 Prozent geben sich mit einer bis zwei Wochen zufrieden. Danach sinkt die Akzeptanz allerdings drastisch. Nur noch 18 Prozent empfinden zwei bis drei Wochen als akzeptabel. Grundsätzlich gilt daher, je länger Entscheidungen dauern, desto größer wird die Unsicherheit und damit die Wahrscheinlichkeit für einen Absprung.

Eine weitere Stellschraube, an der Unternehmen im Recruiting-Prozess drehen können, sind Probearbeitstage oder direkte Gespräche mit dem Team. Sie ermöglichen realistische Einblicke in den Betrieb und in den Arbeitsalltag. Jeder Kontaktpunkt wirkt dabei wie ein biologischer Reiz in der Entscheidungszentrale im Gehirn. Erst wenn sich positive Impulse summieren, gibt es einen deutlichen Ausschlag für ein Unternehmen.

Das können aber auch klare Commitments entlang der Candidate Journey sein. So geben gemeinsame Überlegungen zu den ersten 100 Tagen Orientierung und erhöhen die Verbindlichkeit. All das sind Signale, die Vertrauen schaffen und den Unterschied machen können, ob Kandidaten bleiben oder fliehen.

Starkes Employer Branding zeigt sich nicht allein in Hochglanzkampagnen. Es sind die kleinen Momente der Interaktion – Reaktionsgeschwindigkeit und Tonalität inklusive.

 

Bildnachweis: istockphoto.com/fizkes

 

 

Über den Autor

Porträtfoto von Christine Trimpel, Gesellschafterin und Executive Search Advisor der Masterpiece GmbH

Christine Trimpel

Christine Trimpel ist Diplom-Biologin, Executive Search Advisor und Gesellschafterin bei Masterpiece. Seit über 20 Jahren begleitet sie Organisationen in Veränderungsprozessen als Sparringspartnerin. Die Faszination für Wachstum und Transformation begleitet sie durch ihr ganzes Berufsleben: Zunächst als gelernte Landschaftsgärtnerin und studierte Diplom-Biologin mit Nebenfach Jura, danach als Projektleiterin in einer Non-Profit-Organisation für die Neuaufstellung von Akademikern für Berufe der IT-Technologien. masterpiece-advisors.de


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