Gründerin Fashion-Onlineshop mamell

„Lernen Sie Menschen kennen, nicht nur ihre Lebensläufe“

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Ihren Fashion-Onlineshop mamell hat Melanie Schneppershoff im Coronajahr 2020 mit 800 Euro gestartet – und ein Recruiting-Prinzip etabliert, das mit gängige Konventionen bewusst bricht: Statt auf Lebensläufe setzt sie konsequent auf Skills. Im Interview mit Onpulson erklärt sie, warum sie aus eigener Erfahrung weiß, wie wenig ein CV tatsächlich über Menschen und ihr Potenzial aussagt.

 

Melanie Schneppershoff ist Gründerin des Online-Fashionshops mamell. Dieser existiert seit rund 5 Jahren und mittlerweile sind über 40 Beschäftigte dort tätig. Foto: Melanie Schneppershoff

Onpulson: Frau Schneppershoff, Sie sind Gründerin des Modelabels mamell und besitzen einen Online-Shop und ein Ladengeschäft in Jülich. Was war der Auslöser für Ihren „Skills statt CV“-Ansatz, bei dem die Persönlichkeit vor dem eigentlichen Lebenslauf steht und wie hängt diese Haltung mit Ihrer eigenen Gründungsgeschichte während der Pandemie 2020 zusammen?

Melanie Schneppershoff: Diese Entscheidung rührt vor allem daher, dass ich selbst keinen Lebenslauf habe, der „beeindruckend“ aussieht. Ich bin im Heim groß geworden, habe durch viele Umzüge ständig die Schule gewechselt, wurde mit 16 schwanger und war mit 17 Mutter. Obwohl ich immer fleißig war und eigentlich gute Noten hatte, hat mein Lebenslauf am Ende ausgesehen wie ein Sammelsurium aus Brüchen und Lücken.

In klassischen Bewerbungssituationen habe ich gemerkt: Ein Blatt Papier entscheidet schneller über dich als dein Charakter oder dein Potenzial. Da ich somit weiß, wie sich das anfühlt, wollte ich das anders machen. Ich habe mamell gegründet, um Menschen eine Chance zu geben, die vielleicht keinen „geraden“ Weg hatten, aber dafür Herz, Leidenschaft und Lernbereitschaft haben. Ein Lebenslauf sagt oft nichts über den Menschen dahinter aus, zumal ihn heute viele auch einfach von der KI schreiben lassen. Deshalb beurteile ich lieber nach Bauchgefühl, Haltung und Energie – nicht nach Zeilen auf Papier.

Onpulson: Wenn Sie bewusst auf Lebensläufe verzichten – wie sieht Ihr Auswahlprozess konkret aus – von der ersten Kontaktaufnahme bis zur Entscheidung?

Melanie Schneppershoff: Bei uns läuft das ganz unkompliziert. Viele Bewerbungen kommen über Instagram, weil Menschen unsere Philosophie kennen. Ich spreche dort oft in die Story, wenn wir jemanden suchen, und sage einfach: „Meld dich hier, schreib mir kurz, wer du bist.“ Andere kommen über ganz klassische Aushänge im Supermarkt oder in der Kita.

Wir sind sowohl digital als auch noch ganz oldschool unterwegs. Nach der ersten Kontaktaufnahme gibt es meist ein kurzes Telefonat, um ein Gefühl füreinander zu bekommen. Dann folgt ein persönliches Kennenlernen, wobei ich besonders auf mein Bauchgefühl vertraue. Körpersprache, Ausdruck, Harmonie – das ist mir wichtiger als jede Note. Im Anschluss gibt es immer ein Probearbeiten.

Dabei geht’s nicht darum, ob jemand fachlich alles richtig macht, sondern wie er sich im Team verhält. Die Kolleginnen beziehen wir mit ein, und am Ende entscheiden wir gemeinsam, ob es passt. Ich glaube fest daran: Wer mit Herz dabei ist, kann alles lernen.

Onpulson: Quereinsteiger und Mütter nach der Elternzeit bekommen bei mamell Chancen. Wie gestalten Sie Onboarding und Upskilling?

Melanie Schneppershoff: Ich selbst bin das beste Beispiel dafür, dass man sich vieles beibringen kann. Ich hatte keinerlei Vorkenntnisse im Bereich Mode oder Logistik, als ich mamell gegründet habe. Deshalb bin ich überzeugt: Alles, was ich lernen konnte, kann auch jede andere Frau lernen – besonders Mütter oder Quereinsteiger.

Wir arbeiten mit einem Gleitzeitprinzip und passen die Stunden individuell an die jeweilige Lebenssituation an. Ich frage bei jeder Einstellung ganz offen: „Wie würdest du gerne arbeiten?“ Manches geht, manches nicht – aber wir finden immer eine Lösung. Durch diese Offenheit entsteht ein Geben und Nehmen: Wenn ich flexibel bin, sind es meine Mitarbeitenden auch. Unsere Basis ist immer ehrliche Kommunikation – ob bei Kinderkrankheiten, Schulferien oder persönlichen Themen. Wir finden gemeinsam Wege, die für alle funktionieren. Dieses Vertrauen zahlt sich langfristig doppelt aus – menschlich und unternehmerisch.

Onpulson: Welche harten Kennzahlen belegen den Erfolg Ihres Recruiting-Ansatzes – und was hat Sie daran selbst überrascht?

Melanie Schneppershoff: Wir haben eine sehr geringe Fluktuation und eine außergewöhnlich starke Teamkultur. Die meisten Wechsel gibt es nur bei Minijobs in saisonalen Hochphasen, was völlig normal ist. Aber im festen Team sind viele Frauen schon lange dabei – und das erfüllt mich sehr. Besonders im Versand, wo viele starten, haben wir eine extrem schnelle Einarbeitung. Dort lernt man unser Unternehmen am besten kennen. Oft zeigt sich mit der Zeit, welche Stärken oder Interessen jemand noch hat, woraufhin wir dann die Position weiterentwickeln.

So entstehen echte Entwicklungsgeschichten im Team: Vom Versand in die Büroorganisation, vom Packtisch zur Lagerleitung oder zur Social-Media-Betreuung. Dieses „Wachsen im eigenen Tempo“ funktioniert auch so gut, weil wir immer ein offenes Ohr füreinander haben. Mich persönlich hat überrascht, wie stark sich diese Haltung auf die Produktivität auswirkt. Wenn Menschen lieben, was sie tun, entsteht eine unvergleichbare Energie. Ein Buch, das mich dabei sehr geprägt hat, ist „The Big Five for Life“ von John Strelecky. Es zeigt: Wenn Arbeit mit Sinn und Freude verbunden ist, wird sie automatisch erfolgreicher.

Onpulson: Sie erreichen über 140.000 Menschen auf Instagram. Welche Rolle spielt Community & Social Recruiting für Ihren Talent-Funnel und Ihre Arbeitgebermarke?

Melanie Schneppershoff: Eine riesige – unsere Community erlebt uns jeden Tag so, wie wir sind: Ungeschminkt, ehrlich und manchmal auch chaotisch. Dadurch wissen Bewerbende schon vorher, wer wir sind und wie wir ticken. Viele sagen: „Ich folge euch seit Jahren, und jetzt möchte ich Teil davon sein.“ Das ist das schönste Kompliment. Natürlich zeige ich auf Social Media besonders die schönen Momente: Teamessen, Lachen, Tanzen. Aber im Bewerbungsgespräch sage ich auch ganz klar: Das ist Arbeit. Nur eben mit Herz. Diese Authentizität sorgt dafür, dass die Menschen wirklich zu uns passen, weil sie nicht nur irgendeinen Job suchen, sondern sich mit unseren Werten identifizieren.

Onpulson: Mit über 40 Mitarbeitenden und eigenem Logistikzentrum: Wo stößt „Kompetenzen vor Stationen“ in der Praxis an Grenzen – und welche Kompromisse waren nötig?

Melanie Schneppershoff: Natürlich gibt es Grenzen – etwa bei bestimmten Fachbereichen wie Buchhaltung oder IT, bei denen Qualifikationen wichtig sind. Aber selbst dort ist mir Persönlichkeit wichtiger als Perfektion. Die größte Herausforderung war, Strukturen zu schaffen, ohne diese Freiheit zu verlieren. Je größer das Team wird, desto mehr braucht es Dokumentation, Führung und klare Abläufe – aber immer mit dem Menschen im Mittelpunkt. Das war manchmal eine Gratwanderung, die Notwendigkeiten der Expansion mit unserer Kultur zu vereinen. Aber ich glaube, genau diese Mischung aus Menschlichkeit und Struktur ist das Geheimnis, warum mamell so gut funktioniert.

Onpulson: Ihr 90-Tage-Fahrplan für den Mittelstand: Welche drei Schritte sollten Entscheider sofort angehen, um vom CV-Denken zu einer kompetenzbasierten Auswahl zu wechseln – inklusive Dos & Don’ts?

Melanie Schneppershoff: Schritt 1: Lernen Sie Menschen kennen, nicht nur ihre Lebensläufe. Ein echtes Gespräch ersetzt zehn Zeugnisse. Einfach mal zuhören, was jemanden antreibt. Schritt 2: Bauchgefühl ernst nehmen. Chemie kann man nicht messen, aber sie entscheidet über langfristige Zufriedenheit. Schritt 3: Mut zur Flexibilität. Stunden, Aufgaben und Verantwortungen sollten sich entwickeln dürfen. Wer das zulässt, entdeckt Talente, die sonst verborgen bleiben.

Dos: Auf Persönlichkeit und Lernbereitschaft achten, Probearbeiten statt Tests, Feedback-Kultur leben. Don’ts: Menschen auf Fehler reduzieren, Bewerbungen nach Lücken aussortieren, zu viel Perfektion erwarten – niemand ist perfekt. Am Ende geht es darum, Vertrauen zu schenken. Denn wenn du Menschen vertraust, wachsen sie über sich hinaus. Genau das ist bei mamell täglich spürbar.

Bildnachweis: istockphoto.com/AnaMOMarques

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