Wie sieht die Zukunft der Personalführung aus?
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Wie sieht die Zukunft der Personalführung aus?

Dr. Georg Kraus
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Die moderne, von netzwerkartigen Strukturen geprägte Arbeitswelt erfordert neue Kompetenzen bei den Mitarbeitern. Doch nicht nur dies! Auch die Personalführung und -entwicklung müssen sich neu definieren und positionieren.

Gute, alte Zeit! Wie einfach war die Personalführung in den tayloristisch organisierten Betrieben der Vergangenheit. Da hatte jeder Mitarbeiter seine klar umrissenen, in einer Stellenbeschreibung beschriebenen Aufgaben. Und wenn ein Mitarbeiter mal nicht parierte? Dann bekam er von seinem Vorgesetzten einen Rüffel.

Personalentwicklung war einst planbar

Und wie einfach war die Personalentwicklung in Zeiten, als noch große Gruppen von Mitarbeitern weitgehend identische Tätigkeiten ausübten – sei es in der Produktion oder der Verwaltung. Da konnten die Experten in den Personalabteilungen von langer Hand die Entwicklungsmaßnahmen beispielsweise für die Produktionsmitarbeiter oder Verkäufer, aber auch für die Führungskräfte planen; auch weil sich in den Betrieben zumindest kurz- und mittelfristig meist wenig änderte – sowohl hinsichtlich der Zielsetzungen, als auch der Arbeitsstrukturen, -inhalte und -beziehungen.

Doch heute in Zeiten, in denen die Mitarbeiter oft in netzwerkartigen Strukturen arbeiten und die Hierarchiestufen und Bereichsgrenzen in der Alltagsarbeit an Bedeutung verlieren? Da entwickelt sich die Personalführung zur Kunst – auch weil viele klassische Führungsinstrumente, wie das Führen mit Zielen, an ihre Grenzen stoßen. Zudem sind die Mitarbeiter heute anders als vor zehn oder gar zwanzig Jahren gestrickt. Statt gehorsam die Befehle ihrer Vorgesetzten zu erfüllen, fordern sie Mitsprache. Und statt ihre berufliche Tätigkeit primär als Instrument zu sehen, um die Familie zu ernähren, erwarten sie heute, dass die Arbeit auch sinnstiftend ist. Und mit all diesen Erwartungen werden ihre Führungskräfte konfrontiert. Sie dürfen heute nicht mehr schlicht Vorgesetzte ihrer Mitarbeiter sein. Nein, sie sollen zugleich deren „Leader“ und „Coach“ sein.

Personalführung stößt an ihre Grenzen

Auch die Personalführung stößt an ihre Grenzen – zumindest in ihrer alten zentral und top-down organisierten Form. Denn in unserer modernen, von permanenter Veränderung geprägten Welt wird der Change- und somit der Lernbedarf in den Unternehmen und bei deren Mitarbeitern immer größer. Er wird so groß, dass er mit zentral konzipierten Maßnahmen allein immer schwieriger abgedeckt werden kann. Doch nicht nur dies! Der Lernbedarf der Mitarbeiter wird auch stets individueller, so dass er immer schwieriger zentral erfasst und mit standardisierten Entwicklungsmaßnahmen befriedigt werden kann.

Daraus folgt: Die Personalführung muss sich stärker auf die operative Ebene verlagern. Und die Mitarbeiter? Aus ihnen müssen „Selbstentwickler“ werden. Sie müssen selbst erkennen, wo bei ihnen ein Lern- und Entwicklungsbedarf besteht und diesen entweder selbst befriedigen oder für sich die notwendige Unterstützung organisieren können. Und die Führungskräfte an der operativen Front? Sie müssen zu Persönlichkeiten heranreifen, die diese Lern- und Entwicklungsprozesse bei ihren Mitarbeitern fördern und so dazu beitragen, dass die Performance ihres Bereichs kontinuierlich steigt und das Unternehmen schneller auf Veränderungen reagieren kann.

Mitarbeiter müssen mehr Eigenengagement zeigen

Erkannt haben diese Entwicklungslinien viele Personalmanager bereits vor Jahren. Und unter dem Stichwort „Employability“ wurden sie auch auf Personalerkongressen diskutiert. Doch in konkreten Konzepten schlugen sich diese Erkenntnisse im betrieblichen Alltag bisher kaum nieder. Auch weil noch weitgehend unklar ist: Kann man die Fähigkeit von Mitarbeitern erkennen, was zum Erreichen gewisser Ziele notwendig ist und eigeninitiativ aktiv zu werden, überhaupt entwickeln? Oder bringen Mitarbeiter diese Eigenschaften, die in der Arbeitswelt von morgen zu Schlüsselkompetenzen werden, aufgrund ihrer Sozialisation oder Persönlichkeitsstruktur entweder mit oder nicht?

Viele Praktiker in den Betrieben neigen zu letzter Auffassung. Auch weil sie im Betriebs- und Führungsalltag die Erfahrung sammeln: Manche Mitarbeiter sehen einfach, was zum Erreichen bestimmter Ziele nötig ist. Zum Beispiel zum Vermeiden von Mehrarbeit. Oder zum Befriedigen von Kundenwünschen. Oder zum Einhalten von Terminen. Doch nicht nur dies! Sie werden auch eigeninitiativ aktiv, selbst wenn die damit verbundenen Tätigkeiten nicht unmittelbar in ihren Aufgabenbereich fallen. Und andere Mitarbeiter? Die haben hierfür schlichtweg keinen Blick. Man muss sie, sprichwörtlich, stets wie Hunde zum Jagen tragen. Sie sehen entweder nicht, was es zu tun gilt, oder sie fühlen sich nicht zuständig. Und immer wieder haben sie die Ausrede parat: „Aber mir hat keiner gesagt, dass ich ….“ Oder: „Das gehört nicht zu meinen Aufgaben.“

Engagement ist keine Intelligenzfrage

Dabei fällt auf: Es hat weder etwas mit der Intelligenz, noch mit der Ausbildung zu tun, ob ein Mitarbeiter sieht, was es zu tun gilt, um ein Ziel zu erreichen. So gibt es zum Beispiel durchaus Putzfrauen, die nicht nur runde Ecken putzen. Sie sehen es auch, wenn es mal wieder die Türgriffe abzuwischen gilt. Oder die Reinigungsmittel zur Neige gehen oder der Wasserhahn tropft. Doch nicht nur dies! Sie werden in solchen Fällen auch aktiv. Umgekehrt gibt es top-ausgebildete Mitarbeiter, mit dem Prädikatsexamen einer Elite-Uni in der Tasche, die zwar fachlich top-fit sind, aber trotzdem eine straffe Personalführung brauchen. Denn die Qualität ihrer Arbeit leidet immer wieder darunter, dass sie nicht ausgehend vom angestrebten Ziel überlegen: Was ist zum Beispiel nötig, damit der Kunde von der Problemlösung begeistert ist? Oder damit das Unternehmen die angestrebte Rendite erzielt? Oder damit irgendein anderes übergeordnetes Ziel erreicht wird? Und wenn doch? Dann fühlen sie sich nicht zuständig.

Solche Mitarbeiter sind aus Unternehmenssicht vielleicht brauchbare Mitarbeiter. Sie sind aber keine Top-Mitarbeiter – ganz gleich, welche berufliche Biografie sie haben. Denn sie müssen straff geführt werden. Und sie strapazieren neben dem Zeitbudget, auch die Nerven ihrer Führungskräfte, weil sie zu einem eigenständigen und -verantwortlichen Arbeiten entweder nicht bereit oder fähig sind. Entsprechend straffe, detaillierte Vorgaben brauchen sie, und entsprechend häufig muss ihr Tun durch eine gute Personalführung kontrolliert werden.

Neue Kompetenzen sind gefragt

Solche Mitarbeiter können Unternehmen, die High-Performance-Organisationen sind und in netzwerkartigen Strukturen komplexe Problemlösungen erarbeiten, immer weniger gebrauchen. Sie können in ihnen zwar irgendwelche unterstützenden Tätigkeiten, sprich Zulieferdienste verrichten, haben sie in ihrer Organisation jedoch eine Schlüsselfunktion inne, leidet hierunter die Performance der gesamten Organisation. Das wird vielen Unternehmen, die entweder High-Performance-Organisationen sind oder werden möchten, zunehmend bewusst. Folglich hinterfragen sie die Kompetenzanforderungen an ihre Mitarbeiter (von morgen). Gefragt sind zunehmend Mitarbeiter, die nicht nur die Verantwortung für ihr Tun, sondern auch für die Weiterentwicklung ihrer Kompetenz übernehmen; des Weiteren Mitarbeiter, die sich für das große Ganze und das Erreichen der übergeordneten Ziele mitverantwortlich fühlen – und zwar nicht nur verbal, sondern dies auch durch ihr Tun beweisen.

Solche Mitarbeiter sind rar. Oder genauer gesagt: Man findet sie in den Unternehmen, zumindest wenn man von ihren Entwicklungszielen ausgeht, noch zu selten. Das erfordert eine Neuorientierung sowohl bei der Personalsuche, -auswahl und -entwicklung, als auch bei der Personalführung.

Das Personalauswahlverfahren überdenken

Auch früher versuchten Unternehmen in Personalauswahlverfahren schon zu checken, inwieweit ein Bewerber sieht, was es zu tun gilt. Ein alter Trick, um dies zu testen, war: Bevor ein Bewerber den Raum betrat, legt ein Mitarbeiter ein Blatt Papier oder einen Füllfederhalter auf den Fußboden. Und dann warteten alle Anwesenden gespannt darauf: Sieht der Bewerber, nachdem er die Tür durchschritten hat, den Gegenstand? Und wenn ja, hebt er ihn, während er auf die Personaler zugeht, auf? Umfassender wurde in der Regel nicht getestet, wie „wach“ und eigeninitiativ ein Bewerber ist. Das sollten Unternehmen aber künftig tun, wenn Eigenengagement und ein Blick fürs Ganze zu Schlüsselkompetenzen sehr guter Mitarbeiter werden. Am ehesten dürfte dies im Rahmen von Assessment Centern möglich sein, bei denen mehrere Kandidaten gemeinsam eine (Projekt-)Aufgabe lösen. Eine weitere Möglichkeit, um das Vorhandensein dieser Kompetenzen zu checken, könnte sein: Das Unternehmen stellt dem Bewerber im Auswahlgespräch eine Aufgabe, deren Lösung, wenn gewisse externe Rahmenbedingungen nicht mitbeeinflusst werden, automatisch eine „Insellösung“ darstellt – mit den entsprechenden Folgeproblemen. Daraus, ob und wie eigeninitiativ der Kandidat die Rahmenbedingungen thematisiert, die es beim Streben nach einer Top-Lösung zu berücksichtigen gilt, könnten Rückschlüsse gezogen werden: Wie geht der Kandidat eine Aufgabe an? Inwieweit denkt er bei deren Lösung über den Tellerrand hinaus? Und was würde er alleine oder im Team tun, damit die Lösung Spitze ist oder im Einklang mit den Bereichs- oder Unternehmenszielen steht?

Wenn die Fähigkeit, das große Ganze zu sehen, und die Bereitschaft, sich hierfür zu engagieren, Schlüsselkompetenzen sind, die für den Erfolg von Unternehmen immer wichtiger werden, dann sollte den Mitarbeitern künftig auch ein Feedback nicht nur bezüglich der Qualität ihrer Arbeitsergebnisse gegeben werden. Eine Rückmeldung sollte ihnen, zum Beispiel in Mitarbeitergesprächen, auch diesbezüglich gegeben werden: Wie wurden die Arbeitsergebnisse erreicht? Weitgehend eigenständig oder unter mehr oder minder straffer Personalführung? Bereits im ersten Anlauf oder erst nach mehreren Korrekturschleifen oder Interventionen – seitens der Führungskraft oder von Kunden? Das heißt, an die Mitarbeiter sollte auch regelmäßig ein klares Signal gesendet werden, dass ein selbstständiges und eigenverantwortliches Handeln von ihnen erwartet wird; des Weiteren, dass dies ein zentrales Kriterium beim Bewerten ihrer Leistung ist. Doch nicht nur dies! Auch der Wert ihrer Arbeitskraft wird hieran gemessen, weshalb sich der Grad der Eigenverantwortlichkeit auch in der Entlohnung widerspiegelt.

Personalführung muss sich neu positionieren

Mitarbeiter bringen bezüglich ihrer Fähigkeit und Bereitschaft, bei ihrer Arbeit das große Ganze im Blick zu haben und sich für dieses zu engagieren, unterschiedliche Startvoraussetzungen mit – aufgrund ihrer Sozialisation und Persönlichkeit. Auch ihre diesbezüglichen Entwicklungspotenziale variieren. Doch auch diese Kompetenz kann (weiter-)entwickelt werden. Der Schlüssel hierzu ist, den Mitarbeiter im Arbeitsalltag immer wieder aufzuzeigen, wie viele Kleinigkeiten beispielsweise zu beachten sind, damit Qualität entsteht und die Kunden begeistert sind. Und wie sich die unterschiedlichen Ziele, die ein Unternehmen oder Unternehmensbereich anstrebt, wechselseitig beeinflussen. Und wie sich der Markt des Unternehmens entwickelt, weshalb bestimmte Verhaltensänderungen notwendig sind.

Diese Zusammenhänge und Wechselwirkungen, den Mitarbeitern immer wieder vor Augen zu führen, ist eine künftige Kernaufgabe von Führung. Diese Aufgaben können Führungskräfte zum Beispiel wahrnehmen, indem sie mit ihren Mitarbeitern reflektieren: Warum haben wir bei der schwierigen Aufgabe x eine Top-Lösung entwickelt? Oder: Warum war bei der Aufgabe y aus Kundensicht die Lösung unbefriedigend, weshalb er sich beschwerte? Des Weiteren: Warum stellen gewisse Lösungen, die vor wenigen Jahren noch Top-Lösungen waren, heute – aus Kunden- oder Unternehmenssicht – keine Toplösungen mehr dar, weshalb sich unser Verhalten verändern muss?

Nur wenn eine Führungskraft in einem permanenten Dialog mit ihren Mitarbeitern hierüber steht, kann sich bei ihnen die Kompetenz (weiter-)entwickeln, zu erkennen, was zum Produzieren von Qualität notwendig ist und welcher Lern- und Entwicklungsbedarf bei ihnen noch besteht, um ein sehr guter Mitarbeiter zu werden (oder zu bleiben). Diese Entwicklung zu fördern, liegt im Eigeninteresse der Führungskräfte. Denn je ausgeprägter die Kompetenz ihrer Mitarbeiter zur Selbstführung und -entwicklung ist, umso stärker werden sie entlastet – da sie weniger straff führen und seltener unterstützend sowie kontrollierend und korrigierend eingreifen müssen. Hinzu kommt: Die Leistung einer Führungskraft wird stets an der Leistung ihres Teams beziehungsweise Bereichs gemessen. Auch deshalb sollten Führungskräfte ein Eigeninteresse daran haben, dass die Kompetenz und somit die Performance ihrer Mitarbeiter kontinuierlich steigt.

Über den Autor

Dr. Georg Kraus

Dr. Georg Kraus Dr. Georg Kraus ist diplomierter Wirtschaftsingenieur und promovierte an der TH Karlsruhe zum Thema Projektmanagement. Er ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal. Er ist unter anderem Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence, der St. Gallener Business-School und der technischen Universität Clausthal. www.kraus-und-partner.de
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