Resilienz im Mittelstand: Überleben und Wachsen in einer Ära der Unsicherheit
Viele mittelständische Unternehmen stehen unter enormem Druck: Eine nicht endende Kette von Krisen, dazu bürokratische Hürden und ein enormer Transformationsbedarf. Ein Balanceakt, auch für Entscheider, denn in der Ära der Unsicherheit wird nur überleben und wachsen, wer kurzfristig die richtigen Maßnahmen zur Stabilisierung ergreift.
Wichtig dabei ist, nicht die Substanz aufzuzehren und Investitionen in Zukunftsthemen sollten nicht vernachlässigt werden. Welche Maßnahmen sollten Mittelständler einleiten?
Stapelkrisen und überbordende Bürokratie setzen Mittelstand unter Druck
Die Rede von den Stapelkrisen ist treffend. Denn kaum ist die eine Krise einigermaßen unter Kontrolle, rollt bereits die nächste heran – und trifft den Mittelstand häufig besonders hart. Die Nachwirkungen der Coronakrise etwa sind noch immer deutlich zu spüren, vor allem bei den Innovationsaktivitäten, wie ein Bericht der KfW zeigt. Gleichzeitig machen die Energiekrise und die damit verbundenen Kostensteigerungen infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine vielen mittelständischen Betrieben seit über zwei Jahren extrem zu schaffen. Hinzu kommen geopolitische Konflikte und ein globaler Trend zu protektionistischer Handelspolitik, angeführt von China und den USA, was den exportorientierten deutschen Mittelstand vor immense Herausforderungen stellt.
Auch die heimische Politik könnte es dem Mittelstand leichter machen. Überbordende regulatorische und bürokratische Anforderungen, denen der Mittelstand – anders als Großkonzerne – häufig ohne spezialisierte Fachabteilungen begegnen muss, treiben viele Entscheider zur Weißglut. So beziffert das Institut für Mittelstandsforschung die Bürokratiekosten auf ein bis drei Prozent des Umsatzes, wobei diese anteilig am höchsten in den kleinsten Unternehmen sind.
Enorme Transformationsbedarfe bei Digitalisierung, Klimaschutz und Fachkräften
Doch der Mittelstand muss nicht nur Stapelkrisen meistern und sich der Bürokratie erwehren: Er muss sich zugleich auch noch transformieren – und zwar nicht zu knapp. Der Transformationsbedarf ist dabei in drei wesentlichen Bereichen zu verorten: der digitalen Transformation, der Transformation hin zur CO2-Neutralität und der Workforce-Transformation.
Erstere tritt aktuell auf der Stelle, wie der Digitalisierungsindex des IW Köln zeigt: Mit 108,6 Punkten im Jahr 2023 im Vergleich zu 110,5 Punkten im Jahr 2022 lässt sich wohlwollend höchstens eine Seitwärtsbewegung feststellen. Der Digitalisierungs-Boost der Corona-Jahre ist jedenfalls verpufft. Die Analyse des IW Köln legt zudem nahe, dass nicht nur technische, sondern auch strukturelle und organisatorische Hürden die digitale Entwicklung hemmen.
Eine weitere Herausforderung für den Mittelstand: Der demografische Wandel führt zu einem schrumpfenden Pool an verfügbaren Fachkräften. Laut einer Studie des Instituts für Mittelstandsforschung sehen 44 Prozent der befragten Unternehmen den Fachkräftemangel als mit Abstand größtes Problemfeld, sogar deutlich vor der Energieversorgung. Abhilfe ist hier jedoch nicht in Sicht. Das Problem: Laut einer OECD-Studie ist die Attraktivität für internationale, hochqualifizierte Fachkräfte nach Deutschland zu kommen, sehr gering. Die bürokratischen Hürden sind schlicht zu hoch und es fehlt an einer Willkommenskultur.
Immerhin nimmt der Klimaschutz langsam Fahrt auf: Rund zwei Drittel der Unternehmen im Mittelstand nehmen ihn laut Studien der Universität Trier ernst – und ergreifen aktiv konkrete Maßnahmen, ihren CO2-Fußabdruck zu reduzieren, etwa im Bereich der Produktion oder Logistik.
Die Unternehmen werden es selbst richten müssen
Die toxische Mischung aus Stapelkrisen, lähmender Bürokratie und enormen Transformationsbedarfen übersetzt sich nicht nur in die dieser Tage allseits wahrnehmbare Krisenstimmung, sondern auch in ganz konkrete wirtschaftliche Herausforderungen: 2024 wird es zwischen 10 und 30 Prozent mehr Insolvenzen geben als noch im Vorjahr – und das, obwohl es im Jahr 2023 wegen der zuvor teilweise ausgesetzten Insolvenzmeldepflicht Nachholeffekte gab. Eine alarmierende Zahl.
Doch der Ruf nach politischer Hilfe wird wohl verhallen. Zwar mögen Gesetzesinitiativen wie das Wachstumschancengesetz flankierende Maßnahmen liefern, doch sie werden die Grundprobleme des Mittelstands nicht lösen. Im Gegenteil: Am Ende müssen es die Unternehmen und Unternehmer einmal mehr selbst richten. Sie müssen dafür sorgen, dass sie gut durch die Krise kommen – und gestärkt aus ihr hervorgehen.
Gut durch die Krise kommen – und gestärkt aus ihr hervorgehen
Damit das gelingt, sind sowohl kurzfristige als auch langfristige Maßnahmen notwendig. Kurzfristig sind schnelle und zentralisierte Entscheidungen von größter Bedeutung, auch wenn dies bedeutet, die Vorteile liebgewonnener partizipativer Entscheidungs- und Mitbestimmungsprozesse zu opfern. Im Bereich des Liquiditätsmanagements ist eine sofortige Cashflow-Analyse notwendig, um finanzielle Engpässe und Einsparbedarfe zu identifizieren. Verhandlungen mit Lieferanten und Kreditgebern über Zahlungsaufschübe oder verbesserte Konditionen sind ebenfalls essenziell. Vertriebsseitig sollte der kurzfristige Fokus auf Bestandskunden und bewährten Vertriebsmaßnahmen liegen, ohne dabei das Preisniveau durch aktionistische Rabatte strukturell zu zerstören. Zugleich ist in einer angespannten Situation wie der aktuellen eine verstärkte und stringente interne Kommunikation entscheidend, um Klarheit und Orientierung zu stiften, Zuversicht und Motivation zu vermitteln und zugleich stets die Deutungshoheit zu behalten.
Langfristig sollten Unternehmen gezielte Investitionen tätigen, die trotz Sparmaßnahmen die Substanz des Unternehmens stärken. Der Fokus sollte hier vor allem auf digitaler Transformation und Automatisierung liegen, um langfristig Effizienz und Skalierbarkeit zu sichern. Zugleich kann – und sollte – die Krise genutzt werden, um notwendige Reorganisationen und Effizienzsteigerungen durchzuführen.
Auch eine strategische Personalplanung, die sowohl den quantitativen Personalbedarf als auch die in Zukunft geforderten Fähigkeiten der Mitarbeiter im Blick hat, ist essenziell, um langfristig erfolgreich zu bleiben. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf den Führungskräften, die entscheidend dafür sind, das Unternehmen durch und schließlich wieder aus der Krise zu führen. Sie müssen aktiv gefördert und befähigt werden, etwa in den Bereichen Krisen- und Change-Management, damit sie ihrer Rolle bestmöglich gerecht werden können.
Der Mittelstand kann auch in einer Ära der Unsicherheit wachsen
Der Mittelstand hat eine enorme Bedeutung für die Volkswirtschaft – nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa: 99,8 Prozent aller Unternehmen in der EU außerhalb des Finanzsektors sind KMUs. Sie stellen 66,6 Prozent der Arbeitsplätze. Trotz der riesigen Herausforderungen, denen der Mittelstand dieser Tage gegenübersteht, gibt es Grund zur Hoffnung: Laut ifo stieg das mittelständische Geschäftsklima zuletzt zum dritten Mal in Folge.
Klar ist: Der Mittelstand kann gestärkt aus der Krise hervorgehen, wenn er die richtigen Maßnahmen ergreift. Die Fähigkeit, sich anzupassen und mutig zu transformieren, wird der Schlüssel sein, um nicht nur zu überleben, sondern auch in einer Ära der Unsicherheit zu wachsen.
Bild: istockphoto.com/industryview
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