Was Manager von den Helden der Antike lernen können?
Odysseus vs. Achilles

Was Manager von den Helden der Antike lernen können?

Dr. Georg Kraus
Am

Manager stehen bei ihrer Arbeit immer wieder vor der Frage: Ist es mit meinen Werten vereinbar, dass ich ein bestimmtes Verhalten zeige, um gewisse Ziele zu erreichen? Das war schon immer so – das zeigen die antiken Beispiele Achilles und Odysseus.

Spätestens seit 1903 – als das Buch „Shop Management“ von Frederick Taylor erschien, auf dem der Taylorimus basiert – kommen Jahr für Jahr mehr Bücher auf den Markt mit Rezepten für ein kluges Management. Doch die Philosophen und Denker beschäftigten sich schon früher mit den Prinzipien guter Führung. Denn der Begriff „Manager“ mag neu sein, die mit dieser Rolle verbundenen Herausforderungen sind es jedoch nicht.

Die ersten Management-Handbücher wurden vor mehr als 2500 Jahren geschrieben. Damals heißen die Manager noch Helden. Und zwei Prototypen dieser schillernden Figuren begegnen uns schon in den ältesten Epen der Weltliteratur: in der Ilias und in der Odyssee, als deren Verfasser Homer gilt.

Liest man die darin enthaltenen Geschichten und vergleicht man ihre Hauptfiguren, dann stellen sich die Fragen:

  • Welche von ihnen sind die wahren Helden? Und:
  • Wodurch unterscheiden sie sich?

Achilles – die aufrichtige Persönlichkeit

In der Ilias lernen wir Achilles kennen. Er ist ein nahezu unverwundbarer Krieger, ein schöner und mutiger Vertreter seiner Zunft mit einem hohen Ehrenkodex. Das heißt, sein Handeln orientiert sich an einem klaren Wertekonstrukt. Entsprechend eindeutig ist er in seiner Bewertung „richtig“ oder „falsch“. Achilles steht zudem für seine Überzeugungen ein und wird schnell zornig, wenn seine Werte in Frage gestellt werden. Außerdem misst er dem höheren Ziel eine größere Bedeutung als dem eigenen Leben bei.

Die Ilias schildert, wie es Achilles im Krieg um Troja immer wieder gelingt, das griechische Heer hinter sich zu scharen – weil er starke Werte verkörpert und bereit ist, für seine Überzeugung zu kämpfen. Selbst gegenüber Agamemnon, dem griechischen König, tritt er für seine Werte ein. Diese Begebenheit wird als „Zorn des Achilleus“ in der Ilias besungen. Obrigkeitshörig ist Achilles nicht, sein Kompass ist seine innere Haltung. Und dafür lieben ihn seine Männer und folgen ihm.

Odysseus – die listige Persönlichkeit

Und Odysseus? Er ist der Listige, bekannt für seinen scharfen Verstand und seine klugen Ideen. Ohne ihn hätte es das trojanische Pferd nicht gegeben. Und sogar die Götter spielt er gegeneinander aus, um seine Ziele zu erreichen. Für Odysseus gilt: Der Zweck heiligt die Mittel. Es geht nicht darum ehrenvoll, sondern erfolgreich zu sein. Und hierfür ist es in seiner (Werte-)Welt auch legitim, zu lügen, zu betrügen und zu tricksen.

Interessanterweise hat Odysseus seine Mannschaft nicht im Griff. Seine Männer stehen zwar zu ihm, doch sie gehorchen ihm nicht immer. Und auf ihrer Irrfahrt zurück nach Ithaka sterben sie alle. Odysseus überlebt als Einziger die Reise.

Ein typisches Management-Dilemma

Wer ist der echte, wahre Held? Achilles, der klare Prinzipien hat und bereit ist, für sie Opfer zu bringen – und dadurch eine Mannschaft erzeugt, die hinter ihm steht? Oder Odysseus, der zweckorientiert die Moral biegt, seine Ziele erreicht, jedoch Gefahr läuft, hierüber seine Mannschaft zu verlieren? Dieses Dilemma kennen viele Manager.

Dazu passt eine Geschichte, die mir der Inhaber einer kleinen Werbeagentur erzählte: Ein Mitarbeiter seiner Firma kam zu ihm und sagte: „Chef, wir haben doch einen Computer bestellt. Die Firma hat zwei geliefert. Es steht aber nur einer auf der Rechnung. Was soll ich tun? Soll ich die Firma auf den Fehler hinweisen, oder soll ich abwarten, ob von denen noch jemand den Fehler bemerkt?“

Ein Unternehmer, bei dem der Manager-Typ Odysseus stark ausgeprägt ist, würde dem Mitarbeiter vermutlich antworten: „Lass‘ uns den zweiten Computer behalten und den Vorteil nutzen.“ Doch welche Botschaft würde er damit an den Mitarbeiter senden? Ganz klar: Sei opportunistisch! Sei stets auf Deinen Vorteil bedacht – selbst wenn Du hiermit anderen schadest.“ Wie lange würde es wohl dauern, bis sich auch der Mitarbeiter – getreu dieser Maxime – auf Kosten des Unternehmers und seiner Firma bereichert? Was ist also besser für Manager, Achilles oder Odysseus zu sein?

Wie kann man dieses Dilemma lösen?

Jeder Manager steht im übertragenen Sinn täglich mindestens einmal vor dieser Frage – im Kontakt mit Kunden, Lieferanten, Kollegen und Mitarbeitern. Und in einer Welt, in der man an der Zielerreichung gemessen wird, ist die Versuchung groß, listig zu sein – also stets zweckorientiert zu handeln, die Moral manchmal etwas zu verbiegen, Unangenehmes zu beschönigen oder auszublenden. Vielleicht kommt man damit sogar durch. Doch zu welchem Preis?

Das Problem ist nur: Den Griechen gelang es, nachdem sie schon zehn Jahre erfolglos gegen die Mauern von Troja angerannt waren, mit Hilfe des „trojanischen Pferdes“ – also mit List und Tücke – endlich den Krieg zu gewinnen. Und Odysseus schaffte es, indem er seine Identität verleugnete und sich „Niemand“ nannte, den Zyklop Polyphem zu übertölpeln und mit den meisten seiner Männer dem sicheren Tod zu entrinnen. Und mit einer List setzte er sogar ein Naturgesetz beziehungsweise göttliches Gesetz außer Kraft – nämlich, dass jeder, der dem Gesang der Sirenen lauscht, sterben muss. Odysseus war der erste Mensch, dem dies nicht widerfuhr.

Deshalb nochmals die Frage, wer Managern eher als Leitbild dienen kann: Achilles, der „prinzipientreue Idealist“, oder Odysseus, der „listige Grenzenüberwinder“? Vermutlich müssen Manager beide Helden-Typen in sich vereinen. Sie müssen zudem – situationsabhängig – für sich, immer wieder entscheiden, wie viel Raum sie diesen beiden Manager-Typen bei ihrem Handeln einräumen, damit sie einerseits die nötige Wirkung entfalten und andererseits ihre persönliche Identität und Integrität bewahren.

Ein echtes Dilemma, das sich vermutlich im Managementalltag nie ein für alle Mal lösen lässt – insbesondere in Zeiten, in denen sich die Rahmenbedingungen wirtschaftlichen und unternehmerischen Handelns rasch ändern und die Zahl der Parameter, die es bei Entscheidungen zu berücksichtigen gilt, kontinuierlich steigt. In ihnen geraten Manager immer wieder in Zielkonflikte. Und in ihnen braucht auch die Frage „Was macht eine gute Führung aus?“ immer wieder eine neue Antwort. Stellen Sie sich dieser Frage, damit Sie einen Kompass für Ihre alltägliche Führungsarbeit haben.

Über den Autor

Dr. Georg Kraus

Dr. Georg Kraus Dr. Georg Kraus ist diplomierter Wirtschaftsingenieur und promovierte an der TH Karlsruhe zum Thema Projektmanagement. Er ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal. Er ist unter anderem Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence, der St. Gallener Business-School und der technischen Universität Clausthal. www.kraus-und-partner.de
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