Mitarbeitergespräche: Warum Jahresziele mehr schaden als nützen
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Mitarbeitergespräche: Warum Jahresziele mehr schaden als nützen

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In vielen Unternehmen stehen derzeit die jährlichen Mitarbeitergespräche an. Führungs- und Fachkraft legen darin meist die Ziele für das Jahr fest. Aber bringt das was? Selten, denn: Ziele festzulegen, schadet Betrieben mehr als es nützt. Sie engen den Handlungsspielraum der Mitarbeitenden ein, demotivieren und fördern eigennützige Denkweisen. Vielmehr sollte man Probleme ansprechen.

Der Ansatz ist zwar unkonventionell, aber erfolgreich: Den Fokus in Jahresgesprächen auf Probleme statt auf Ziele zu legen. Motivation und Mitarbeiterverhältnis profitieren davon deutlich mehr.

Zweifelsohne haben Ziele positive Eigenschaften. So können sie dem Personal beispielsweise dabei helfen, sich zu fokussieren, als Orientierung dienen oder zu mehr Leistung anspornen. Doch diese Effekte stellen sich in der Praxis fast nie ein.

Der Grund: Viele Vorgesetzte geben ihrem Team die Ziele vor oder formulieren sie so nebulös, dass sich Mitarbeitende nicht mit ihnen identifizieren können. In beiden Fällen fehlt die Zielbindung. Dadurch bleibt die positive Wirkung aus.

Mehr noch: Oft verkehrt sich der Effekt sogar ins Negative. Weil Ziele zu unkonkret („Bis Ende des Jahres mehr Kundenzufriedenheit erreichen“), zu hoch („Keine Reklamationen“) oder zu niedrig gesteckt sind („Leistungsumfang der Verträge erfüllen“), führen sie bei vielen Mitarbeitenden über kurz oder lang zu Demotivation, Frust und Ärger.

Klare Ziele zu setzen, die weder zu Überforderung noch zu Unterforderung führen, ist ein Spagat, der für viele Vorgesetzte kaum zu schaffen ist.

Ziele binden unnötig viele Ressourcen

Was den meisten Unternehmen ebenfalls nicht bewusst ist: Mit Zielvorgaben zu arbeiten, bindet unnötig viele Ressourcen. Allein das Zielgespräch nimmt Zeit in Anspruch, die das Personal sinnvoller nutzen kann. Gleiches gilt für das Erreichen der Ziele. Obwohl Ziele wenig Nutzen stiften, investieren Betriebe viel Zeit und Geld in deren Kontrolle und darin, Mitarbeitende wieder auf Kurs zu bringen, die mit ihnen hadern, sich unter- oder überfordert fühlen.

Viele Fachkräfte und Nachwuchskräfte verstehen die Ziele von ihren Vorgesetzten zudem als Misstrauensvotum. Sie fühlen sich in ihrem Freiraum eingeschränkt und unter Druck gesetzt, wenn sie bestimmte Werte nicht einhalten. Das gilt vor allem, wenn ein Teil des Gehalts von der Zielerreichung abhängt. Chefs versprechen sich mehr Motivation davon. Tatsächlich werden egoistische Verhaltensweisen gefördert, die auf den persönlichen Bonus ausgerichtet sind – teilweise ohne Rücksicht auf Verluste für das Team oder das Unternehmen.

Probleme statt Ziele abarbeiten

In 90 Prozent der Fälle sind die Nachteile größer als der Nutzen, den Ziele stiften. Unternehmen empfiehlt er daher einen Ansatz, der im ersten Moment paradox erscheint: Im Jahresgespräch mit dem Personal nicht über Ziele, sondern vor allem über Probleme zu sprechen. Diese sind für beide Seiten nicht nur leichter zu formulieren als Ziele, ihre Lösung stiftet auch einen unmittelbaren, konkreten Nutzen.

So haben Mitarbeitende auf Fragen wie „Wo liegt gerade Ihre größte Herausforderung?“, „Wo sehen Sie bei Ihrer Arbeitsausstattung aktuell den größten Handlungsbedarf?“ oder „Was demotiviert Sie?“ fast immer eine klare Antwort parat, während sie sich mit Ziel- und Motivationsfragen eher schwer tun. Erfahrungsgemäß ergeben sich direkt im Gespräch konkrete Problemfelder, die sich leicht und direkt lösen lassen, wie z. B. veraltete Hardware, eine zu laute Arbeitsumgebung oder fehlende Informationen.

Motivation und Mitarbeiterbindung steigern

Schwierigkeiten wie diese zu lösen, verursacht in der Regel kaum Aufwand. Gleichzeitig schafft das gemeinsame Bewältigen von Problemen, was Ziele oft vermissen lassen: Einen unmittelbaren, spürbaren Mehrwert für beide Seiten. Statt bevormundet fühlen sich Mitarbeitende ernst genommen und respektiert. Viele Führungskräfte, die den Ansatz praktizieren, stellen deshalb schon nach kurzer Zeit fest, dass im Team Motivation und Leistungsbereitschaft steigen. Zudem verbessert sich das Verhältnis nachhaltig.

Die Mitarbeitenden trauen sich zunehmend, Schwierigkeiten und Leistungshemmer offen anzusprechen – auch außerhalb des Jahresgesprächs. Dadurch können Probleme frühzeitig gelöst werden, lange bevor sie ausufern und dauerhaft demotivieren. Kommunikationsschwellen werden sukzessive abgebaut und Vertrauen aufgebaut – das stärkt die Mitarbeiterbindung.

Um den Effekt zu verstärken, sollten Unternehmen es nicht bei einem Gesprächstermin pro Jahr zu belassen. Besser ist es, wochenweise im Team nachzuhaken, wo der Schuh drückt. Feedback, Gehalt und Leistungen werden separat besprochen, z. B. quartalsweise. Dadurch stauen sich Themen nicht unnötig auf und im Jahresgespräch bleibt ausreichend Raum für die wirklich wichtigen Fragen.

Bildnachweis: ©istockphoto.con/fizkes

Über den Autor

Matthias Clesle Seit rund 20 Jahren löst Matthias Clesle im Auftrag namhafter Konzerne und vieler mittelständischer Unternehmen Probleme rund um die Förderung und Weiterbildung von Mitarbeitenden. Er gehört zu den TOP 100 Trainern und arbeitet an mehreren Hochschulen als Dozent. www.matthiasclesle.com
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