Zurück ins Büro oder hybrides Arbeiten?
Anwesenheitskultur der 1990er?

Zurück ins Büro oder hybrides Arbeiten?

Porträtfoto von Arne Sjöström von Culture Amp
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In den letzten Jahren hat sich durch das hybride Arbeiten ein Wandel in der Arbeitswelt vollzogen. Dies trug zweifelslos dazu bei, dass Unternehmen in Zeiten der Pandemie ihre Produktivität aufrechterhalten konnten. Dennoch gibt es hierbei Spannungen, die nicht übersehen werden dürfen: Auf der einen Seite stehen die praktischen Vorteile des hybriden Arbeitens, auf der anderen Seite das Bedürfnis der Vorgesetzten, genau zu wissen, was ihre Mitarbeiter:innen tun.

Dies kann zu unerwünschten Konsequenzen führen, die sich auf das Arbeitsumfeld auswirken. Wenn die Mitarbeitenden dem Wunsch der Vorgesetzten nach permanenter Büropräsenz nachkommen, könnte dies zu einer Rückkehr des Phänomens führen, das bereits in den 1990er Jahren zu beobachten war: Dem „Anwesenheitskult“ am Arbeitsplatz. Dies würde bedeuten, dass die physische Präsenz als Maßstab für Engagement und Leistung angesehen wird. Das widerspricht dem eigentlichen Ziel der hybriden Arbeit – nämlich Produktivität.

Diesen Konflikt zeigt auch eine aktuelle europäische Studie. Diese belegt, dass Arbeitnehmer:innen in hybriden Arbeitsumgebungen zwar um 4 % produktiver sind, die meisten Arbeitgeber (52 %) jedoch eine Rückkehr zur Büroarbeit fordern.

Aktuell ist rund um die Debatte über die Rückkehr zur Präsenzarbeit eine große Bandbreite an Arbeitsmodellen zu beobachten. Während einige Unternehmen wollen, dass die Arbeit wieder ausschließlich im Büro erledigt wird, erwarten andere Organisationen, dass ihre Mitarbeitenden an bestimmten Tagen ins Büro kommen. Diese aber wollen gerne selbst entscheiden, an welchen Wochentagen sie vor Ort arbeiten.

Dieses Spannungsfeld und die Neubewertung der Präsenz könnten unbeabsichtigte Folgen haben. Mitarbeitende bleiben dann so lange an ihren Schreibtischen im Büro, bis ihre Vorgesetzten das Büro verlassen. Die schon überwunden geglaubte Anwesenheitskultur könnte erneut Einzug halten.

Unterschiedliche Entwicklungen

Die Gründe für diese Haltung liegen in den Unterschieden, wie Unternehmen die Employee Performance, die Unternehmenskultur insgesamt und Aspekte des Arbeitslebens, wie beispielsweise die Zusammenarbeit, organisieren und fördern. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich die Wahlmöglichkeiten zwischen Remote-, Hybrid- und Büroarbeit bis zu einem gewissen Grad etabliert haben.

Vor allem größere Unternehmen mit großen Büroflächen sind sehr daran interessiert, ihre Belegschaft wieder zurückzuholen. Denn: Nur so lassen sich die hohen Immobilienkosten rechtfertigen. Diese Forderung könnte jedoch als grundlegender Mangel an Vertrauen von Seiten der Führungskräfte in die Arbeitnehmer verstanden werden. Insbesondere wenn man berücksichtigt, dass die Mitarbeitenden in den letzten Jahren durchaus bewiesen haben, dass sie in hybriden Arbeitsumgebungen produktiv sein können.

Um Transparenz zu schaffen, sollten sich Unternehmen darauf konzentrieren, eine Vertrauenskultur zu etablieren. Diese sollte zu einem besseren Engagement der Mitarbeitenden führen. Gleichzeitig sollten Mitarbeitende dabei unterstützt werden, in unterschiedlichen Arbeits- und Organisationsumgebungen ihr Bestes zu geben.

Vertrauen in die Belegschaft

Aufgrund der aktuellen Lage haben Mitarbeitende das Gefühl, dass die Bedingungen untergraben werden. Diese hatten sie vor ein bis zwei Jahren in puncto Remote- oder hybrides Arbeiten in ihren Anstellungsverträgen ausgehandelt. Eine unklare Haltung sowie die Forderung nach einer Rückkehr ins Büro führt z.B. dazu, dass im Rahmen von Mitarbeiterbefragungen ein geringeres Engagement gemessen wird. Die Angestellten fragen sich, ob sie noch das Vertrauen ihres Unternehmens haben.

Vielerorts gestaltet die traditionelle Denkweise mancher Manager:innen die Situation noch komplizierter. Sie gehen davon aus, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen der Arbeit im Büro und effektiver Leistung gibt. Diese Haltung könnte zu Regeln führen, die eine bestimmte Anzahl von Tagen für die Büropräsenz von Mitarbeitenden vorsieht. Ihrer Meinung nach beruht die Zusammenarbeit auf persönliche Interaktionen.

Der psychologische Vertrag

Wenn Manager:innen jedoch versuchen, die grundlegenden Regeln der Arbeitswelt zu verändern, ohne ihre Mitarbeitenden einzubeziehen, kann dies erhebliche Probleme in der Belegschaft auslösen. Denn damit greifen sie das ungeschriebene und doch grundlegende Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer an. In diesem Zusammenhang spricht man vom psychologischen Vertrag. Dieser besagt, dass der Arbeitgeber für die Sicherheit der Arbeitnehmenden sorgt. Er stellt ihnen Arbeits-Tools zur Verfügung, fördert ihre Karriere und schafft eine Kultur der Wertschätzung. Gerät diese Basis ins Wanken, löst das negative Reaktionen bei den Mitarbeitenden aus.

Die Entwicklungen der vergangenen Jahre hin zu einer hybriden Arbeitswelt haben Veränderungen mit sich gebracht. Mit diesen müssen Unternehmen mit Bedacht umgehen, damit der zugrunde liegende psychologische Vertrag aufrechterhalten werden kann. Angesichts der Tatsache, dass viele Mitarbeitende auch ohne physische Präsenz im Büro erfolgreich arbeiten und Manager heute eher Coaches als Vorgesetzte sind, besteht eventuell sogar der Bedarf für eine neue Version des psychologischen Vertrags. Dieser könnte dann den komplexen und differenzierten Bedürfnissen der Arbeitnehmenden im hybriden Zeitalter gerecht werden.

Gerade im Zusammenhang mit drohenden Entlassungen und unsicheren Arbeitsplätzen könnte die Forderung der Arbeitgeber nach einer Rückkehr ins Büro als ein Zeichen dafür gewertet werden, dass die Unternehmen bereit sind, das bestehende Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber aufzubrechen.

Um das Vertrauen der Mitarbeitenden zu gewinnen, müssen die Unternehmen zum einen klare Strategien für das Zuhören entwickeln. Zum anderen sollten auch praktische Antworten auf die Sorgen der Arbeitnehmer und auf die Frage gefunden werden, wie die Kultur verbessert werden kann. Dies kann z.B. durch das regelmäßige Einholen von Feedback sein. Auch die Anpassung des Führungsstils, die Reflexion von Gelerntem sowie der Einführung einer Kultur, die Fragen und Verletzlichkeit zulässt, sind Möglichkeiten.

Fazit: Klare Regeln, statt freie Wahl

Unternehmen müssen zu einer klaren Definition ihrer Kultur finden und Strategien für die Aufrechterhaltung und Verbesserung des Engagements festlegen. Damit gelingt es ihnen, widerstandsfähiger zu werden und zu einer praktikablen Lösung zu finden, die hybride Arbeit oder Büroarbeit vereint. Für Unternehmen hingegen, die diesbezüglich keine klare Strategie festlegen, könnte die derzeit herrschende freie Wahl des Arbeitsortes früher oder später nicht nur zu einem kurzfristigen Problem werden. Es kann auch zu einer langfristigen Herausforderung für die Unternehmenskultur werden.

Bildnachweis: ©Depositphotos.com

Über den Autor

Porträtfoto von Arne Sjöström von Culture Amp

Dr. Arne Sjöström Dr. Arne Sjöström ist Senior People Scientist EMEA bei Culture Amp. Seinen Arbeitsschwerpunkt hat er im Bereich der Organisationspsychologie und angewandten Forschung. Erkenntnisse aus dem Bereich der Psychologie und Verhaltensforschung werden von ihm bei der Anwendung von HR-Technologien genutzt, um Firmen bzgl. der Personalauswahl, Personalentwicklung sowie dem Mitarbeiterfeedback zu beraten. In diesem Kontext unterstützt er einige der größten Kunden von Culture Amp darin, ihre Unternehmenskultur aktiv zu gestalten und die “Employee Experience” und Leistungen ihrer Mitarbeiter zu verbessern. www.cultureamp.com
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