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Coaching – eine vernachlässigte Führungsaufgabe

Dr. Georg Kraus
Am

Führungskräfte müssen Coachs ihrer Mitarbeiter sein – das steht heute in fast jedem Führungshandbuch. Was dies bedeutet, bleibt oft unklar. Dabei heißt „Mitarbeiter coachen“ im Firmenalltag weitgehend die „Mitarbeiter anleiten“. Diese Führungsaufgabe ist heute eher verpönt.

Bei Problemen rechtzeitig gegensteuern

Führungskraft Mayer erteilt Mitarbeiter Müller eine neue komplexe Aufgabe – zum Beispiel das Vertriebskonzept für ein neues Produkt zu entwerfen. Oder eine neue IT-Lösung für das Bearbeiten von Kundenanfragen zu entwickeln. Kurz unterhalten sich Mayer und Müller darüber, welche Ziele dabei zu erreichen sind – zum Beispiel in drei Monaten 100 Kunden für das neue Produkt zu finden oder die Bearbeitungszeit für Kundenanfragen um ein Drittel zu reduzieren.

Dann kehrt Führungskraft Mayer an ihren Schreibtisch zurück und widmet sich dort anderen Aufgaben. Entspannt! Schließlich hat Mitarbeiter Müller in der Vergangenheit vielfach bewiesen, dass man auf ihn bauen kann.

Wochen oder gar Monate gehen so ins Land. Und immer wieder fragt Führungskraft Mayer Herrn Müller, wenn er ihn im Flur trifft: „Wie läuft’s?“ Dessen Antwort „Alles ist im grünen Bereich“. Oder: „Es geht voran.“ Also fragt Mayer nicht nach. Er ist überzeugt: Der Müller hat die Sache voll im Griff.

Doch dann naht der Termin, an dem die Aufgabe abgeschlossen und die vereinbarten Ziele erreicht sein sollen. Zunehmend macht sich bei Müller Nervosität breit. Immer häufiger erzählt er von „Schwierigkeiten, die sich ergeben“. Und eine Woche, bevor der Job erledigt sein soll, gesteht er Mayer: „Ich schaffe es nicht“. Der fällt aus allen Wolken und fragt entsetzt: „Warum haben Sie mich nicht früher informiert? Dann hätten wir gegensteuern können.“ Dafür ist es nun zu spät.

Anleiten heißt nicht anweisen

Wer ist verantwortlich für das Scheitern? Der Mitarbeiter oder die Führungskraft? Beide! Die Hauptverantwortung trägt aber die Führungskraft, denn sie lotete nicht aus: Findet Müller alleine einen geeigneten Lösungsweg für seine neue Aufgabe oder braucht er Unterstützung? Also konnte Mayer diese auch nicht gewähren. Die Führungskraft verschaffte sich zwischenzeitlich auch kein konkretes Bild davon, ob ihr Mitarbeiter sich noch „auf Kurs“ befindet, um – sofern nötig – korrigierend einzugreifen. Sie nahm also eine Aufgabe nicht wahr, die zu den Kernaufgaben jeder Führungskraft zählt, nämlich ihre Mitarbeiter bei ihrer Arbeit anzuleiten – zumindest bei Aufgaben, bei denen ihnen noch die nötige Routine und Erfahrung fehlt.

Dieses Anleiten ist heute vielfach verpönt. Statt dessen wird in Führungsseminaren oft über das Thema Coaching schwadroniert. Dabei reduziert sich das Coachen im Firmenalltag weitgehend auf ein Anleiten der Mitarbeiter – zumindest dann, wenn der Coach zugleich der disziplinarische Vorgesetzte ist. Dass das Anleiten einen so schlechten Ruf hat, hat folgenden Grund: Oft wird Anleiten mit Anweisen gleichgesetzt. Doch Anleiten bedeutet nicht, anderen Personen Befehle „Tue dies“ und „Tue das“ zu erteilen, sondern ihnen die nötigen Hilfestellungen zu geben – seien diese fachlicher oder mentaler Art.

Lernprozesse anstoßen und begleiten

Ein weiterer Grund: Die Funktion des Anleitens wird heute weitgehend mit dem Bereich Ausbildung assoziiert. Zu unrecht, denn was tut ein „Anleiter“? Er kaut seinen Schützlingen, wenn sie vor einer neuen Aufgabe stehen, nicht die Lösung vor. Er fragt sie vielmehr: Wie würdet ihr diese Aufgabe angehen? Er motiviert sie also, eigene Lösungsvorschläge zu entwerfen. Und zeigt sich dabei, dass sie Unterstützung brauchen, dann gibt er ihnen Hilfestellungen, bevor er sich schließlich mit ihnen auf einen Lösungsweg verständigt.

Doch damit ist sein Job nicht beendet. Vielmehr fragt er beim Umsetzen immer wieder nach „Gibt es Probleme?“, „Was habt ihr zwischenzeitlich erreicht?“, um bei Bedarf korrigierend und unterstützend einzugreifen. Denn ansonsten ist weder sichergestellt, dass die gewünschten Ergebnisse erzielt werden, noch dass bei den Schützlingen die gewünschten Lernprozesse stattfinden.

Eine solche Unterstützung beziehungsweise Wegbegleitung brauchen nicht nur Azubis, sondern auch erfahrene Arbeitskräfte – zumindest dann, wenn

  • sie neue Aufgaben übernehmen, mit deren Lösung sie noch keine Erfahrung haben, oder
  • ihre Arbeit für das Erreichen der Ziele des Bereichs oder gar des Unternehmens von fundamentaler Bedeutung ist.

Und diese ihnen zu gewähren, ist eine Führungsaufgabe, da es ansonsten weitgehend dem Zufall überlassen bleibt, welche Arbeitsergebnisse erzielt werden. Und die Führungskraft kann am Ende nur noch konstatieren: Die Ziele wurden nicht erreicht.

Praxis-Beispiel Coaching

Nehmen wir an Vertriebsmitarbeiter Schulz, der bisher im Innendienst arbeitete, soll künftig im Außendienst primär Neukunden akquirieren. Dann genügt es nicht, wenn sein Chef – nennen wir ihn Vertriebsleiter Schmidt – zu ihm sagt „Herr Schulz machen sie das mal“ und ihm eventuell noch das Ziel vorgibt: „Bis Ende Dezember, also in den nächsten drei Monaten, müssen sie mit zehn Neukunden Verträge abschließen“.

Denn dann ist nicht sicher gestellt, dass Herr Schulz seine neue Aufgabe adäquat wahrnimmt und das definierte Ziel erreicht. Das kann Vertriebsleiter Schmidt im Extremfall die Stelle kosten. Denn seine Leistung wird von seinen Chefs an der Leistung seiner Mitarbeiter gemessen. Ausflüchte wie „Mein Mitarbeiter Schulz war überfordert“ akzeptieren sie nicht, wenn Schmidts Bereich das Vertriebsziel verfehlt.

Den Weg zum Erfolg aufzeigen

Was sollte Vertriebsleiter Schmidt also tun? Er sollte, wenn er seinem Mitarbeiter die neue Aufgabe überträgt und ihm vorgibt, in drei Monaten mindestens zehn Neukunden zu gewinnen, sich mit ihm hinsetzen und erarbeiten:

  • Wie kann dieses Ziel erreicht werden?
  • Welche Maßnahmen sind hierfür nötig? Und:
  • Welche Unterstützung braucht Mitarbeiter Schulz?

Das Ergebnis könnte sein: Wenn wir bis Ende Dezember zehn Neukunden gewinnen möchten, müssen wir bis Ende Oktober mindestens 100 potenzielle Kunden anrufen und ermitteln, ob bei ihnen grundsätzlich ein Bedarf für unser Produkt besteht. Von ihnen sagen voraussichtlich circa 30: Ja. Mit diesen 30 potenziellen Kunden müssen wird bis Ende November persönliche Gespräche führen und ihnen individuelle Angebote unterbreiten. Dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir Ende Dezember Aufträge von zehn Neukunden haben.

Sind der Weg zum Ziel „zehn Neukunden“ und die Etappenziele, die es hierbei zu passieren gilt, fixiert, kann daraus abgeleitet werden:

  • Welche Teilaufgaben ergeben sich hieraus und
  • welche Unterstützung – sei es fachlicher, personeller oder auch motivationaler Art – braucht Schulz, um diese wahrzunehmen?

Erst danach darf sich Führungskraft Schmidt wieder anderen Aufgaben zuwenden und Mitarbeiter Schulz eigenständig seinen Job erledigen lassen – doch nicht eigenverantwortlich, weil ihm noch die nötige Routine und Erfahrung fehlt. Also muss Schmidt in den Folgewochen bei Schulz regelmäßig zum Beispiel nachfragen:

  • „Wie läuft es mit dem Telefonieren? Bekommen Sie ausreichend Entscheider an die Strippe?“ oder
  • „Erweist sich unsere Annahme, dass 30 Prozent der Unternehmen sich für unser Produkt interessieren, als richtig?“

Antwortet Schulz „nein“, muss Schmidt sich mit ihm zusammensetzen und analysieren: Warum? Zeigt sich dann zum Beispiel, die Vorzimmerdamen stellen Schulz selten durch, lautet die Frage erneut: Warum? Vielleicht sind seine Gespräche falsch aufgebaut? Vielleicht hat Schulz aber auch mentale Barrieren wildfremde Menschen anzurufen und lässt sich deshalb schnell abwimmeln? Abhängig vom Ergebnis kann dann die nötige Unterstützung für Schulz organisiert werden.

Auf dem Weg zum Erfolg begleiten

Entsprechendes gilt, wenn Schulz sagt: „Ich komme zwar zu den Entscheidern durch. Es sieht aber so aus, als ob sich weniger als 30 Prozent für unser Produkt interessieren.“ Dann muss Schmidt mit Schulz ermitteln, wie das Etappenziel, 30 potenzielle Interessenten bis Ende Oktober zu identifizieren, doch noch erreicht werden kann. Vielleicht sollte sich Schulz beim Telefonieren auf andere Branchen konzentrieren? Vielleicht müssen aber auch schlicht 150 statt der geplanten 100 potenziellen Neukunden angerufen werden?

Durch ein solches Vorgehen kann die Führungskraft sicherstellen, dass ihr Mitarbeiter die gesteckten Etappenziele und letztlich auch das Endziel „10 Abschlüsse“ erreicht. Doch nicht nur dies. Sie sorgt auch dafür, dass beim Mitarbeiter die gewünschten Lernprozesse stattfinden und bei ihm die Erfahrung entsteht, die er künftig zum eigenständigen und eigenverantwortlichen Lösen entsprechender Aufgabe braucht. Warum?

Durch das gemeinsame Analysieren, warum gewisse Vorgehensweisen funktionieren und andere nicht, gewinnt der Mitarbeiter auch eine gewisse Erfahrung damit, einen geeigneten Lösungsweg zu entwerfen. Diese kann er auf andere Aufgaben übertragen. Ein solches Vorgehen verhindert auch, dass der Mitarbeiter, wenn es (wie bei neuen Aufgaben üblich) nicht wie geplant oder erhofft läuft, vorschnell mit der Begründung „Das geht nicht“ oder „Das kann ich nicht“ die Flinte ins Korn wirft, denn er wird von seinem Vorgesetzten fachlich und mental unterstützt.

Über den Autor

Dr. Georg Kraus

Dr. Georg Kraus Dr. Georg Kraus ist diplomierter Wirtschaftsingenieur und promovierte an der TH Karlsruhe zum Thema Projektmanagement. Er ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal. Er ist unter anderem Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence, der St. Gallener Business-School und der technischen Universität Clausthal. www.kraus-und-partner.de
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