Kerstin Hillbrink

„Mobiles Arbeiten erfordert mehr als Standardlösungen”

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Onpulson im Gespräch mit Kerstin Hillbrink, Diplom-Psychologin und Beraterin Gesundheitsmanagement bei der B·A·D GmbH. B·A·D bietet Dienstleistungen im Arbeitsschutz und in der betrieblichen Gesundheitsvorsorge für Unternehmen aller Branchen an. Kerstin Hillbrink macht deutlich, dass das Thema mobiles Arbeiten coronabedingt mit vielen Herausforderungen verbunden ist. Sie beschreibt exemplarische Fälle aus ihrer Beratungspraxis und gibt Führungskräften Tipps im Umgang mit flexiblen Arbeitsformen.

Onpulson: Frau Hillbrink, Sie sind Diplom-Psychologin und Beraterin Gesundheitsmanagement bei der B·A·D Gesundheitsvorsorge und Sicherheitstechnik GmbH und beraten Beschäftigte in Unternehmen. Welche Vor- und Nachteile bringt mobiles Arbeiten mit sich?

Kerstin Hillbrink: Mobiles Arbeiten bringt viele Vorteile –  zum Beispiel mehr Flexibilität, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, höhere Arbeitszufriedenheit, Zeitersparnis und Ressourcenschonung durch das Wegfallen des Arbeitsweges. Aber auch Nachteile, wie zum Beispiel die erschwerte Trennung von Beruf und Privatem oder den Verlust der Teambindung.

Onpulson: Was ist der wichtigste Wirkfaktor beim Thema Home-Office?

Kerstin Hillbrink: Der wichtigste Wirkfaktor, ob mobiles Arbeiten zur Ressource oder zur Belastung wird, ist sicher der Mensch – die Beschäftigten, Angestellten und Führungskräfte mit den unterschiedlichsten Bedürfnissen, Motiven und Ängsten. In den Beratungs- und Coachinggesprächen begegnen mir viele Reaktionen auf mobiles Arbeiten. Gerne können wir uns einige Beispiele genauer ansehen, denn sie stehen stellvertretend für viele Angestellte.

Onpulson: Es gibt Menschen, die im Home-Office zu viel arbeiten. Wie begegnet man dem als Vorgesetzte/r, um ein Burnout des Mitarbeitenden zu vermeiden?

Kerstin Hillbrink: Anbei ein Beispiel hierzu – ein langjähriger Mitarbeiter eines großen Unternehmens (Herr S.) meldet sich bei mir mit Erschöpfungs- und Burnout-Symptomen. Dabei fing alles so schön an: „Als vor einem Dreivierteljahr in unserem Unternehmen mobiles Arbeiten ermöglicht wurde, war das für mich eine große Erleichterung!“. Als Pendler hatte er täglich eine recht lange Anfahrt. Durch die Freiheiten des mobilen Arbeitens sparte er sich diese Fahrtzeiten und konnte gleichzeitig mit seiner Partnerin die Kinderbetreuung viel besser organisieren. Neben diesen positiven Aspekten machte Herr S. sich aber von Anfang an auch Sorgen: „Hoffentlich glaubt mein Chef jetzt nicht, ich nutze die Situation aus und arbeite weniger als sonst!“

Die Vorstellung, dass Kollegen oder Vorgesetzte Minderleistung unterstellen, führt gerade bei hoch leistungsorientierten Menschen schnell in eine Überforderungsspirale. Selbst wenn die Befürchtungen gar nicht der Realität entsprechen, gehen Beschäftigte dann oft weit über ihre Grenzen hinaus, um die eigene Leistung zu beweisen. Bis irgendwann gar nichts mehr geht: „Seit einem Monat schaffe ich fast gar nichts mehr. Ich muss mich morgens regelrecht aus dem Bett prügeln und die unangenehmen Arbeiten schiebe ich unendlich auf. Am meisten Angst habe ich davor, dass das irgendwann auffällt!“ So ist dann die Konsequenz daraus.

Onpulson: Welchen Tipp können Sie bei diesem Beispiel an Führungskräfte weitergeben?

Kerstin Hillbrink: Mobiles Arbeiten führt bei vielen Mitarbeitenden zu mehr Effizienz und einer Leistungssteigerung. Bei Mitarbeitenden mit ausgeprägtem Leistungsanspruch und Anerkennungsbedürfnis kann das aber schnell in Richtung Erschöpfung oder Burnout kippen. Hier ist es wichtig (nicht nur auf der Sachebene) im Gespräch zu bleiben. Thematisieren Sie als Führungskraft in den Einzelgesprächen immer auch die aktuelle Stimmung und Arbeitsbelastung und lassen Sie Ihre Mitarbeitenden im Home-Office wissen, wenn Sie zufrieden mit der Leistung sind: „Ich bin sehr zufrieden mit Deiner Leistung und bin mir sicher, Du arbeitest sehr viel zurzeit. Wie geht es Dir damit?“ könnten z. B. gute Einstiegsfragen sein.

Onpulson: Wie sieht es mit Führungskräften aus, die während des mobilen Arbeitens zu sehr ihre Angestellten im Home-Office kontrollieren?

Kerstin Hillbrink: Auch hier möchte ich zunächst ein Beispiel nennen. Eine noch junge Führungskraft (Frau B.) hat im Rahmen einer Mitarbeitendenbefragung recht kritische Rückmeldungen bekommen. Die Befragung wurde zu einem Zeitpunkt umgesetzt, als viele der Beschäftigten erstmalig mobil arbeiten konnten und sollten. Natürlich hatte Frau B. schon wahrgenommen, dass die Beziehung zu einigen Mitarbeitenden angespannt war. Nun hatte sie es schwarz auf weiß.

Im Rahmen eines Coachings möchte Frau B. sich ihre Anteile daran anschauen und Handlungsmöglichkeiten erarbeiten. In den Gesprächen kommen wir schnell zu dem Kernthema: ihre Angst, die Kontrolle zu verlieren. Sie war gerade mal ein Jahr in ihrer Führungsposition und musste sich in dieser Rolle noch beweisen. Dann änderte sich auf einmal vieles und sie war gefordert, virtuell zu führen. Ihre bereits vorhandene Unsicherheit wurde durch diese neue Herausforderung noch erhöht.

Unbewusst hat sie dann das gemacht, was die meisten Menschen in angstbesetzten Situationen machen: sie hat versucht, der Unsicherheit durch mehr Kontrolle entgegenzuwirken. Dies zeigte sich durch häufige, unangekündigte Kontrollanrufe, das Ansetzen spontaner Team-Meetings u. ä. Bei ihren Mitarbeitenden, die autonomes, eigenständiges Arbeiten wertschätzten und gewohnt waren, hat das zu latentem, aber spürbaren Widerstand geführt. Dies wiederrum löste bei Frau B. ein noch höheres Kontrollbedürfnis aus. So entstand ein Kreislauf, der am Ende zu sehr schlechten Befragungsergebnissen und angespannten Beziehungen führte.

Onpulson: Was raten Sie in diesen Fällen?

Kerstin Hillbrink: Die Arbeitsform des mobilen Arbeitens funktioniert nur mit Führungskräften, die vertrauen können. Natürlich müssen Führungskräfte die Arbeit der Mitarbeitenden auch kontrollieren und prüfen. Und oft ist es eine Gratwanderung beides zu vereinbaren. Meiner Erfahrung nach gelingt dies am besten, wenn die Führungskräfte sich ihrer eigenen Ängste und Unsicherheiten bewusst sind. Dann können unbewusst ausgelebte Kontrollaktionen durch reflektierte, ergebnisorientierte und transparente Führungsinstrumente ausgetauscht werden.

Onpulson: Was sollten Führungskräfte tun mit Beschäftigen, die gar nicht mit der Situation im Home-Office umgehen können?

Kerstin Hillbrink: Hierzu noch ein Beispiel, das mir im Rahmen eines Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) begegnete. Frau Z. war im letzten Jahr mehrfach krank. Insgesamt kam sie auf 6 Wochen innerhalb der letzten zwölf Monate und hatte damit Anspruch auf ein BEM-Verfahren. Als externer Dienstleister gelang es mir, Vertrauen aufzubauen und so erfuhr ich bald, was hinter den körperlichen Erkrankungen (Erkältung, Migräne, Magen-Darm…) auch noch steckte: Frau Z. lebte alleine und war erst vor kurzen neu zugezogen. Sie hatte kaum ortsnahe Freunde und nur wenige Kontakte außerhalb ihrer Arbeit. Die Arbeit machte ihr Spaß, gab ihr Selbstbewusstsein und sorgte für das nötige soziale Netzwerk.

Als sie und ihre Kolleginnen aufgrund der Pandemie im Home-Office arbeiten sollten, war das für sie von Anfang an eine große Herausforderung. Es gelang ihr nur schwer, sich zu Hause selbst zu organisieren und als extrovertierte und gesellige Person fehlten ihr die persönlichen Kontakte sehr. Sie suchte das Gespräch mit ihrer Führungskraft und äußerte den Wunsch, wieder im Büro arbeiten zu können. Ihr Anliegen wurde abgelehnt, ohne dass sie den Grund dafür wirklich verstehen konnte, da sowohl ihre Führungskraft als auch zwei andere Kollegin regelmäßig im Büro „sein durften“. Sie fühlte sich gekränkt und ungerecht behandelt. Natürlich war die erlebte Kränkung nicht die alleinige Ursache der Fehlzeiten, aber doch sicher mehr als nur ein kleines Zünglein an der Waage.

Mein Tipp für Führungskräfte ist folgender: je nach Persönlichkeit kann mobiles Arbeiten ein echtes Problem darstellen. Dies ist z. B. bei extrovertierten Menschen mit einem hohen Bedarf an Kontakt und Austausch, aber auch bei unsicheren Menschen, die von häufigen und zeitnahen Rückmeldungen ihrer Führungskräfte profitieren, der Fall. Um außerhalb des Büros und ohne persönliche Kontakte effizient arbeiten zu können, bedarf es auch eines höheren Maßes an Eigenmotivation und Selbstorganisation. Sonst wird es schwer. Für manche Menschen sind der Kontakt zu Kollegen, die Fahrt zur Arbeit, die Zeit „außerhalb“ der eigenen vier Wände oft wichtig für ein positives Lebensgefühl.

Mitarbeitende, die gezwungen sind, entgegen dieser Bedürfnisse und Werte zu arbeiten, erleben das unter Umständen als massive Kränkung. Sollte dies aus betrieblichen Gründen unumgänglich sein, ist es wichtig, die Gründe dafür gut und glaubhaft zu kommunizieren und im engen Kontakt mit diesen Mitarbeitenden zu bleiben. Sich gekränkt oder ungerecht behandelt zu fühlen, kann nach meiner Erfahrung schnell zu innerer Kündigung, verminderter Leistungsbereitschaft und erhöhten Fehlzeiten führen.

Onpulson: Welches Fazit können Sie hieraus ziehen, wie kann mobiles Arbeiten am besten gelingen, so dass Beschäftigte gut mit der Situation umgehen können?

Kerstin Hillbrink: Arbeitskonzepte außerhalb des klassischen Büros werden sicher auch in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. Und wenn wir über mobiles Arbeiten reden, sollten wir vor allem nicht vergessen, den Menschen mitzudenken – die individuelle Lebenssituation, Persönlichkeitseigenschaften, Werte und Motive der Mitarbeitenden und auch der Führungskräfte sind relevante Faktoren bei der Frage, ob und wie mobiles Arbeiten gelingen kann.

Für mich wird deutlich, das mobiles Arbeiten mehr als Standardlösungen erfordert. Führungskräfte sind mehr denn je gefordert nach zugeschnittenen Lösungen zu suchen und aufmerksam zu bleiben: aufmerksam in Bezug auf die individuellen Bedürfnisse, Fähigkeiten, Ressourcen und Ängste der Mitarbeitenden und auch der eigenen.

Foto/Thumbnail: ©Pixabay.com

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