Systemdenken bei Führungskräften hilft Engpässe in der Komplexität zu erkennen
Führungskräfte stellen bei der Lösung komplizierter Probleme die Ursachen in den Vordergrund, wenn sie komplexe Probleme erfolgreich lösen wollen, dann müssen sie bei den Zielen beginnen – Systemdenken ist hierbei angebracht.
Wie schon im 1. Teil der Beitragsreihe dargestellt, findet heute Führung unter VUCA-Bedingungen statt, d.h. Führung muss mit schnelleren Veränderungen (Volatility), größerer Unsicherheit (Uncertainity), höherer Komplexität (Complexity) und größeren Widersprüchen (Ambiguity) fertig werden.Hightech Unternehmen lebten schon vor 30 Jahren in einer VUCA-Welt – um mit diesen Herausforderungen erfolgreich umzugehen, spielen Systemdenken und Systeme eine entscheidende Rolle.
Da sich vieles in VUCA-Welten schnell verändert, ist eine ganzheitliche, systemische Sicht notwendig, um möglichst viele Auswirkungen von Veränderungen zu berücksichtigen. Unternehmensweit akzeptierte Systeme schaffen die Leitplanken, zwischen denen Veränderungen ablaufen. Im Systemunternehmen MBB (Messerschmitt-Bölkow-Blohm), wo hochkomplizierte Systeme wie Flugzeuge oder der europäische Teil der Raumstation ISS entwickelt und mitproduziert wurde, war Systemdenken für Personaler Pflicht. Im Laufe der Zeit wurden Unterschiede zwischen komplizierten und komplexen Systemen immer deutlicher. Der Unterschied ist für Führung erfolgskritisch.
Der Unterschied zwischen komplizierten und komplexen Systemen
1. Komplizierte Systeme
Kompliziert ist etwas, das aus vielen Teilen/Elementen besteht, die alle bekannt sind oder bekannt sein müssten. Es gibt Bedingungen und Verknüpfungen zwischen ihnen, die klar definierbar sind und sich nicht eigenständig verändern. IT-Systeme, Maschinen oder Flugzeuge sind oft hochkompliziert. Komplizierte Probleme lösen, das ist eine deutsche Stärke und begründet den Ruf von Made in Germany. Im Mittelpunkt stehen analytische oder kreative Methoden der Problemlösung, die insbesondere auf einer Ursachenanalyse aufbauen. Lösungen funktionieren, wenn keine Fehler gemacht werden. Kompliziertheit bekommt man mit Wissen in den Griff, wenn man darüber verfügt.
2. Komplexe Systeme
Komplex ist etwas, das aus vielen Teilen/Elementen besteht, die möglicherweise nicht alle bekannt sind, die sich irgendwie beeinflussen, die ihre Eigenschaften verändern und Eigendynamik entwickeln können und dann Zusammenhänge und letztendlich Ergebnisse verändern. Wenn Menschen eine wesentliche Rolle spielen, Interessen im Spiel sind oder „Handlungsfreiheit“ von Akteuren besteht, dann wird es komplex. Mit der Lösung komplexer Probleme wie Kundenorientierung steigern, Veränderungen in Unternehmen realisieren oder Bahnhöfe bzw. Flugplätze in bewohnten Landschaften errichten, da haben wir in Deutschland so unsere Schwierigkeiten.
Während bei der Lösung komplizierter Probleme die Ursachen im Vordergrund stehen, muss die Lösung komplexer Probleme bei den Zielen beginnen. Unterschiedliche Interpretationen der Situation, divergierende Interessen, Unterschiede bei Wissen und Erfahrungen beeinflussen Ergebnisse von Anfang an maßgeblich – in die negative aber auch in die positive Richtung.
Wenn am Anfang in komplexen Situationen nicht geklärt wird, was erreicht werden soll, ist ein gutes Ergebnis, das sogar von allen getragen wird, zufällig. Führungssituationen sind immer komplex. Für ein Führungsproblem ist sehr selten nur eine Ursache verantwortlich. Wird bei den Ursachen angesetzt, wird schnell der Schuldige gesucht, man landet bei „Leichen im Keller“ und so bei unproduktiven Konflikten. In Ergebnissen denken ist entscheidend.
Wie bekommt man Komplexität in den Griff?
Vier Fehler kristallisierten sich heraus, die in VUCA-Situationen, das heißt in komplexen Situationen, immer wieder gemacht werden (Abbildung 1)
Wenn Führung durch die „Systembrille“ betrachtet wird, dann sind Führungskräfte dafür verantwortlich Ziele zusammen mit Mitarbeitern über Aufgaben und Prozesse zu erreichen. Die richtigen Ziele zu ermitteln, ist grundlegend für Führung in VUCA-Welten. Das verhindern in Deutschland zwei Fehleinschätzungen.
Fehler im Umgang mit Zielen
- Ziele sollen S.M.A.R.T.-formuliert sein, das heißt Specific (genau beschrieben), Measurable (messbar), Attainable (erreichbar), Relevant (wichtig), Timed (zeitlich bestimmt).
In klassischen Management by Objectives – Konzepten werden Ziele hauptsächlich zur Kontrolle der Zielerreichung benutzt, oft, um variable Gehaltsbestandteile zu begründen. Der wesentliche Nutzen S.M.A.R.T.-formulierter Ziele entsteht aber am Anfang des Zielfindungsprozesses, nicht bei der Kontrolle! Nur wer seine Ziele messbar formulieren kann, hat klare Vorstellungen von dem, was erreicht werden soll, kann den Weg zur Zielerreichung besser planen, wird effektiv (das Richtige tun und nicht nur etwas richtig tun) und kann die Erfolgschancen zur Erreichung von Oberzielen beurteilen. S.M.A.R.T-Formulierung ist eine methodische Hilfe, um die richtigen Ziele zu finden. Ob der Erfolg gemessen wird, hängt auch davon ab, ob der Messaufwand nicht höher ist als der Ergebnisbeitrag des Ziels. - Zielvereinbarungsgespräche sind nicht geeignet, um die richtigen Ziele zu finden.
Allein der Prozess von Einzelgesprächen zwingt Führungskräfte dazu, Ziele, die sie mit ihrer Führungskraft vereinbart haben, selbst zu konkretisieren, zu verteilen und durchzusetzen, statt das Knowhow der Mitarbeiter zu nutzen. Dagegen wehrten sich die Führungskräfte bei MBB, weil Mitarbeiter die Experten waren. Deshalb wurden Ziele ab 1994 im Team erarbeitet. Daraus entwickelten sich sofort fundierte Zielklausuren. Zielklausuren haben sich als die einzige geeignete Maßnahme erwiesen, um aus Unternehmenszielen über einen gestuften Prozess die richtigen Ziele für Bereiche, Führungskräfte und Mitarbeiter abzuleiten. Dabei handelt es sich um die Big Points, die erreicht werden sollen.
Die Vorteile von Zielklausuren
- Es gibt keinen einfacheren, effektiveren und zeitlich kürzeren Weg, individuelle Ziele oder Teamziele aus Unternehmens-, Bereichsziele abzuleiten, mit weiteren Zielen zu ergänzen und auf Verantwortliche aufzuteilen.
- Der Sinn von Zielen wird geklärt, Veränderungswiderstände werden abgebaut – Betroffene werden zu Beteiligten.
- Das Wissen aller Teilnehmer wird bei der Zielfindung und -konkretisierung genutzt.
- Arbeitsumfang und Arbeitsspitzen werden offensichtlich und im Team ausgeglichen.
- Es gibt keinen besseren Weg um zu lernen, wie man Ziele als Ergebnisse und SMART formuliert. Das betrifft insbesondere schlecht messbare, qualitative Ziele. Erfahrungen zeigen, dass 80% der Ziele, die deutsche Führungskräfte definieren, in Wirklichkeit Aufgaben beschreiben aber keine Ergebnisse. Das passiert in Zielklausuren nicht.
- Es entsteht Transparenz über die „Big Points“, die von anderen Bereichen/Teams/ Kollegen bearbeitet werden. Zusammenarbeit und Zuarbeiten werden sofort deutlich.
- Es entsteht Dynamik im Team, weil an Themen gearbeitet wird, die jeden betreffen. Zielklausuren sind Maßnahmen zur Teamentwicklung.
- Viele Ziele, die aus den Unternehmenszielen abgeleitet werden, sind recht zügig S.M.A.R.T. zu formulieren. Um sie zu erreichen, werden oft zuerst Veränderungsprozesse bei Prozessen, Aufgaben, Strukturen und auch Mitarbeitern nötig. Dafür gilt es Ziele zu entwickeln. Das passiert in Zielklausuren, bei denen Systemdenken auf der Tagesordnung steht.
- Im Jahresverlauf Fortschritte über Meilensteine zu verfolgen, hilft sehr, Ziele zu erreichen
Die ökonomischen Auswirkungen zeigten sich in einem Unternehmensbereich an einer durchschnittlichen Steigerung des Ertrags (EBIT) von drei Prozent pro Jahr über fünf Jahre. Auch hier wurden die Ursachen untersucht im Vergleich zu Unternehmensbereichen, die ihr EBIT so nicht steigern konnten. Ein wesentlicher Unterschied lag im Einsatz der Methodik. Funktionierendes Zielmanagement verbessert Unternehmensergebnisse direkt und kurzfristig.
Der weitere Nutzen von Zielklausuren ist vielfach belegt. So haben z.B. in Mitarbeiterbefragungen über 90 Prozent der Teilnehmer geantwortet, dass ihre Vorstellungen bei der Zielvereinbarung angemessen berücksichtigt worden sind. Ein anderes Ergebnis zeigte eine interessante Wirkung der Klausuren (Abbildung 2).
Befragte, die an einer Zielklausur teilgenommen hatten, beurteilten die Qualität von Führung und Zusammenarbeit hochsignifikant besser als Teilnehmer, die nicht an einer Klausur teilgenommen hatten. Zielklausuren verbessern die Einschätzung der Führungsqualität.
In Zielklausuren können absehbare Big Points bearbeitet werden. Viele Herausforderungen, die ebenfalls zielorientierte Führung erfordern, entwickeln sich in einem normalen Arbeitsjahr aber kurzfristig, ungeplant. Auch dafür werden Führungskräfte und Mitarbeiter in Zielklausuren trainiert.
Führungssysteme sind die Grundlage für Führung
Nun ist eine Zielklausur noch kein System, sondern nur ein Element, eine Maßnahme. Führungssysteme bestehen immer aus den Elementen (1) Gesamtkonzept / Regeln, (2) Maßnahmen / Prozesse und (3) Instrumente / Methoden.
Unternehmen benötigen zur Führung Systeme, die überall im Unternehmen wirken,das heißt Systemdenken ist angesagt. Es sind Systeme zum Zielmanagement, zum Talentmanagement und zur Personal-, Bereichsorganisation. Systeme zu Entgelt / Leistungen und zur Arbeitszeit unterstützen Zielerreichung. Die ersten drei Systeme sind vernetzt und müssen gemeinsam gedacht werden. Erst wenn sie entlang des Unternehmensführungsprozesses geordnet werden, können sie einfach gestaltet werden (Abbildung 3).
Ausgangspunkt ist die operative und strategische Geschäftsplanung. Nach diesem „Bottom up-Prozess“ von der operativen Ebene bis zur Leitung muss der verabschiedete Geschäftsplan über den „Top-Down-Prozess“ Zielmanagement mit Zielklausuren heruntergebrochen werden. Zielmanagement endet mit Zielvereinbarungen. Ob in diesen Gesprächen variable Entgeltbestandteile an Einzelziele geknüpft werden, sollte sehr genau überlegt werden. Oft entstehen dadurch kontraproduktive Wirkungen. Über Personal- und Bereichsmanagement, das heißt indirekter Führung (siehe Beitrag 1), werden Ziele in Handeln umgesetzt und akut auftretende Ziele einbezogen. Im Mitarbeitergespräch setzt sich zielorientierte Führung fort mit einem Meilensteingespräch zum Stand der Zielerreichung und es beginnt das Talentmanagement. Gesprächsergebnisse über Entwicklungsbedarfe, individuelle Entwicklungsvorstellungen und weitere Einschätzungen fließen als Entscheidungsgrundlagen in die qualitative Personalplanung ein, als Teil der Geschäftsplanung. Recruitment und Training sind Elemente des Talentmanagements.
Systemdenken ist angebracht, doch: die Systeme möglichst einfach zu gestalten ist das Schwierigste. Natürlich unterscheiden sich Systeme in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße. Fehlt aber ein Element wird das System nicht funktionieren.
Im August 2018 veröffentlichte das Handelsblatt einen Artikel mit dem Titel „Ziele und Schlüsselergebnisse – die neuen Wunderwaffen moderner Führungskräfte“ . Darin wird das OKR-System (Objectives and Key Results) von Google beschrieben, das 1999 bei Google eingeführt wurde. „Damit werden die abstrakt formulierten Visionen der obersten Konzernbosse in verdauliche Häppchen auf Team- oder Mitarbeiterebene aufgeteilt. Diesen Zielhappen (Objectives) werden dann in Besprechungen mehrere messbare Schlüsselergebnisse (Key Results) zugeordnet, die binnen eines Quartals erreicht werden sollen.“ Das ist nichts anderes als Zielfindung und SMART-Zielformulierung in Zielklausuren, die bei MBB seit 1994 angewendet wurden. Oracle, Twitter oder LinkedIn sollen die Methodik ebenfalls nutzen. Auch diese Unternehmen arbeiten in VUCA-Umgebungen und sind zu ähnlichen Lösungen gekommen, um an den richtigen Zielen zu arbeiten.
Talentmanagement ist ebenfalls ein System und besteht aus mehr als einem Kompetenzmodell. Mit Talentmanagementsoftware können Prozesse vereinfacht, Daten gespeichert und sortiert werden. Aber Digitalisierung löst das wesentliche Problem nicht: Wie kommt in einer turbulenten Welt eine belastbare Einschätzung des zukünftigen qualitativen Personalbedarfs zustande? Das kann nur das obere Management in einem diskursiven Prozess liefern, gerade aufgrund der Kenntnisse über operative und strategische Vorhaben. Dafür wurden Ende der 1980er Jahre die Personalklausuren entwickelt und erfolgreich durchgeführt. Sie werden vom HR-Bereich vorbereitet, moderiert und nachbereitet. Hier werden auch Potenzialeinschätzungen auf Basis des Mehr-Augen-Prinzips durchgeführt und Entscheidungen getroffen, wohin die meist zu knappen Mittel für Talentmanagement fließen sollen.
Damit diese Systeme funktionieren, Systemdenken erfolgreich eingesetzt wird und das Unternehmen sich zukunftsorientiert ausrichtet, muss eine Voraussetzung erfüllt sein: Die Unternehmensleitung gibt den Auftrag, nimmt das Controlling wahr, das heißt das Steuern und Kontrollieren (lassen) und schafft Verbindlichkeit, über mehrere Jahre. Fehlt das, ist einer der wesentlichen Fehler in VUCA-Welten gemacht worden.
Die Qualität der 5 Führungssysteme, die überall im Unternehmen wirken, beeinflussen individuellen Führungserfolg nachhaltig. Das wird sich auch im nächsten Beitrag zeigen, in dem es um Führungsinstrumente geht.
Weitere Beiträge aus der Artikel-Serie „30 Jahre VUCA-Welten“
Teil 1: Führungsstile machen heute erfolgreiche Führung unmöglich
Teil 2: Systemdenken bei Führungskräften hilft Engpässe in der Komplexität zu erkennen
Teil 3: Agilität steigern: Nur neues Etikett oder neue Lösung?
Teil 4: Vom Lernen zum Anwenden – und wo Unternehmen auf Widerstand stoßen
Teil 5: Orientierung an Werten steigert den Erfolg von Führung
Foto/Thumbnail: ©Jirsak/Depositphotos.com
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