Im Gespräch mit Nina Reinartz

Psychische Erkrankungen – Rückkehr in den Job

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Die Rückkehr nach einer psychischen Erkrankung ist eine Herausforderung: für Betroffene, Führungskräfte und Kolleg*innen gleichermaßen. Worauf es bei der Rückkehr in den Job ankommt, erklärt Nina Reinartz, Beraterin Gesundheitsmanagement bei B·A·D, im Gespräch mit Onpulson. B·A·D ist ein europaweit tätiger Dienstleister im Arbeitsschutz und in der betrieblichen Gesundheitsvorsorge.

Nina Reinartz ist Beraterin Gesundheitsmanagement bei B·A·D, ein europaweit tätiger Dienstleister im Arbeitsschutz und in der betrieblichen Gesundheitsvorsorge.

Was ist zu beachten, wenn psychisch Erkrankte nach langer Abwesenheit wieder in den Job zurückkehren? Soll darüber gesprochen werden?

In der Regel werden psychische Erkrankungen immer als etwas sehr Privates gesehen, über das man nicht redet. Wenn jemand sich einen Arm gebrochen hat und dann wieder in den Job zurückkehrt, wird nachgefragt: „Ist alles gut verheilt?“ Das ist ganz selbstverständlich. Niemand würde aber einen Kollegen fragen: „Herr M., ich habe gehört, Sie sind wegen Depressionen längere Zeit krankgeschrieben gewesen. Geht es Ihnen jetzt besser?“ Gehen wir davon aus, dass die entsprechende Führungskraft über den Krankenstatus Bescheid weiß, dann wäre es unangebracht, in der Abteilung oder im Team zu verkünden: „Herr M. ist aufgrund einer Depression so lange ausgefallen.“

Grundsätzlich ist es ratsam, sich mit der betroffenen Person zum Vorgehen vorab auszutauschen, wie transparent sie sein möchte. Für manche Betroffene kann es hilfreich sein, offen zu sprechen, ohne Details preiszugeben. Das ist auch gar nicht notwendig; oftmals reicht es, zu sagen, dass es einem nicht gut ging, aus welchen Gründen auch immer. Auch wenn es für Betroffene vielleicht ein schwerer Schritt ist, machen sie damit das Geheimnisvolle, das Tabu, sichtbarer. Anderen wiederum ist es unangenehm selbst darüber zu sprechen. Sie bitten ihre Führungskraft, das für sie zu tun. Kommunikation ist in jedem Fall wichtig und unerlässlich.

Zu bedenken gilt, dass auch bei Kollegen vielfach Unsicherheiten herrschen, wie man im Team damit umgehen kann. Viele wissen nicht, ob und was sie ansprechen dürfen. Leichter machen es Betroffene ihren Kollegen, wenn sie ihnen anbieten, sie direkt anzusprechen. So kann man vermeiden, dass hinter dem Rücken gesprochen wird und Gerüchte entstehen.

Worin liegt die Aufgabe der Führungskraft?

Ich sehe Möglichkeiten, aber auch Grenzen der Führungskraft. Ihre Aufgabe ist es, die Kollegen, das Team für das Thema zu sensibilisieren. Das bedeutet, für einen wertschätzenden, vertrauensvollen Umgang miteinander zu sorgen und damit eine Kultur anzulegen, die Offenheit befördert.

Grundsätzlich haben Führungskräfte eine Fürsorgepflicht. Doch sie dürfen damit wiederum nicht allein gelassen werden, sie benötigen Handwerkszeug im Umgang mit derartigen Situationen. Das können Fortbildungsangebote sein, aber auch Fachleute, die sie gezielt um Rat fragen können. Merkt man beispielsweise, dass ein Mitarbeitender, der sonst immer guter Dinge ist, viel erzählt, plötzlich traurig ist, nicht mehr teilnimmt an Gesprächen, abwesend wirkt, dann kann die Führungsperson im Sinne ihrer Fürsorgepflicht auf ihn zugehen und entsprechend nachfragen – ohne dass das die Anmutung auf ein Personalgespräch schließen lässt oder den Eindruck eines Vorwurfs hinterlässt – einfach nur auf der menschlichen Ebene: „Ich merke, da ist eine Veränderung, geht es dir gut? Können wir, kann ich etwas für dich tun?“

Andererseits gibt es klare Grenzen. Die Führungskraft ist nicht in der Verantwortung diesen Menschen zu retten, alles zu installieren, dass komplett die Versorgung steht. Aber vielleicht kann sie vermitteln an Beratungsstellen, an Experten.

Optimalerweise durchläuft jemand, der nach längerer Erkrankung in den Job zurückkommt, ein Verfahren, das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM). Nicht jedem ist das bekannt.

Seit 2004 sind Arbeitgeber verpflichtet, ihren Beschäftigten, die länger als sechs Wochen am Stück oder wiederholt krankgeschrieben waren, ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) anzubieten. Dies zielt darauf ab, Arbeitsunfähigkeiten von Beschäftigten zu überwinden, erneuten Ausfallzeiten vorzubeugen und den Arbeitsplatz zu erhalten.

Für Unsicherheit sorgt bereits, wenn der Mitarbeitende die Einladung zum BEM erhält. Diese kommt meistens postalisch, wenn die Betroffenen noch in der Arbeitsunfähigkeit zuhause sind. Reaktion ist häufig, dass sie sich unter Druck gesetzt fühlen, möglichst schnell gesund zu werden und wieder zur Arbeit zu gehen. Genau darum geht es eben nicht. Aber wenn nicht bekannt ist, wozu das BEM dient, passiert genau das.

Vor allem irritiert die meisten die Information im Einladungsschreiben, dass das BEM freiwillig ist, der Arbeitnehmer sich jedoch im Fall einer krankheitsbedingten Kündigung bei Verweigerung des BEM nicht darauf berufen kann, dass kein BEM durchgeführt wurde. Allein schon das Wort Kündigung löst bei vielen Angst und Stress aus. Es muss im Schreiben aus rechtlichen Gründen genannt werden; daher sollte aber unbedingt vorab und am besten kontinuierlich informiert werden, warum dieser Satz dort steht.

In einem ersten Schritt ist es daher wichtig in Unternehmen darüber zu informieren, dass es dieses Verfahren gibt und für den Mitarbeitenden Vorteile hat. Er kann es selbstverständlich ablehnen, das Verfahren ist freiwillig. Findet das Erstgespräch unter Einbeziehung des Erkrankten, einer BEM-Verantwortlichen, eines Mitglieds des Betriebsrats und ggf. eines Verantwortlichen aus der Personalabteilung statt, ist es wichtig vertrauensvoll zu erörtern: Was ist der Grund für die Abwesenheit? Wie sehen die weiteren Pläne aus und wo kann die betroffene Person unterstützt werden?

Das ist das Hauptanliegen, mit dem dann den offenen Suchprozess startet – ein Suchprozess in alle Richtungen. Die Mitarbeitenden wissen, was sie belastet und können abschätzen, welche einschränkenden Konsequenzen daraus für die Arbeit resultieren. Sprich, in der Regel hat man eine Vorstellung, was geändert oder angepasst werden sollte. Bei psychischen Belastungen bringt der höhenverstellbare Schreibtisch nichts. Ein Beispiel: Vor einiger Zeit war ich beteiligt an einem BEM-Prozess, in dem eine Frau extrem belastet war durch Schichtarbeit und daraus resultierenden schweren Schlafstörungen. In diesem konkreten Fall wird geschaut: Wie können wir sie in Regelarbeitszeit bringen?

Des Weiteren geht es nicht ausschließlich um betriebliche, sondern auch persönliche Maßnahmen. Beispielsweise können wir als BEM-Begleitende bei der Suche nach einem Therapieplatz behilflich sein. Das sind Hilfsangebote, die entkoppelt von der Arbeit sind, aber einen positiven Einfluss haben können auf die weitere Stabilisierung.

Welche Schwierigkeiten können denn beim BEM auftreten?

Bleiben wir bei dem Beispiel mit der angepassten Arbeitszeit. Ggf. stellt sich nach geraumer Zeit heraus, dass diese Maßnahme nicht hilft, die Person wiederholt erkrankt. Bei seelischen Beanspruchungen ist die wiederholte Erkrankung nicht selten. Dann startet ein neuer Suchprozess. Manchmal ist man dann an einem Punkt angelangt, an dem auch ein Arbeitgeber sagt: „Ich weiß nicht mehr, was ich anbieten kann. Ich habe nichts mehr, was ich tun kann.“

Dann stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, wenn derjenige weiterhin im Unternehmen bleibt? Bei sehr schweren seelischen Erkrankungen kann – altersabhängig – eine Teilerwerbsminderungsrente oder sogar volle Erwerbsminderungsrente sinnvoll sein. Davor sollte aber unbedingt immer an eine Rehabilitationsmaßnahme gedacht und diese umgesetzt werden. Das Fachpersonal in Rehabilitationseinrichtungen kann oftmals unterstützen und zudem einen Ausblick bieten, wie es weitergehen könnte; auch, wenn ggf. die Arbeitsfähigkeit nicht mehr oder nur teilweise möglich ist.

Nehmen Sie im Umgang mit psychischen Belastungen Veränderungen wahr?

Gesellschaftlich wird das Problem immer mehr gesehen. Es bestimmt das Krankheitsgeschehen, die Zahlen belegen das. Viele Menschen machen darüber hinaus damit Erfahrungen im Familien- oder Freundeskreis. Enttabuisierung ist ein wichtiger Punkt, auch in Unternehmen. Von jemandem, der ein Bein gebrochen hat, würde man nicht erwarten, dass er einen Marathon läuft. Bei jemanden, der an einer Depression oder Angststörung leidet, würde man sagen: „Mach das doch, du bist faul, wenn du nicht daran teilnimmst.“ Dass beide das im Moment nicht können, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, wird nicht gesehen.

Aufklärung ist daher vonnöten, denn vielfach fehlt einfach das Wissen über diese Art von Erkrankungen, die ja auch wiederum auf die körperliche Befindlichkeit und Leistungsfähigkeit Einfluss haben. Seinen Aufgaben nicht mehr gerecht werden zu können, kann eben viele Gründe haben. Manche Menschen hebeln private Probleme wie Scheidungen oder Tod eines geliebten Menschen aus, andere wiederum geraten durch überlastende Arbeitsstrukturen oder Schwierigkeiten im Team aus dem Gleichgewicht. Beim oben erwähnten Bein- oder Armbruch weiß man, dass das irgendwann verheilt und wieder zusammengewachsen ist.

Bei psychischen Belastungsstörungen ist davon auszugehen, dass sie wiederkehren, einen über einen längeren Zeitraum begleiten und Auswirkungen haben auf das soziale Miteinander – privat wie auch am Arbeitsplatz. Das sollte man nicht schönreden. Es ist sehr schwer – für Betroffene wie für das Team, Freunde und Familie gleichermaßen. Umso wichtiger ist es, sich damit zu beschäftigen, zu sensibilisieren. Dann kann aus dem „das ist schwer“ ein „wir kriegen das gut hin für alle“ werden. Das wäre ein wünschenswertes Ziel.

Bildquelle: ©Depositphotos.com

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